18. January 2017
Monica CamposeoKultur online – Buchrezension ohne Blätterrascheln?

Foto: abhijit chendvankar unter CC BY-NC-ND 2.0
Kulturthemen im Onlinejournalismus – auf den ersten Blick keine glückliche Beziehung. Die Debatte über das Aufkommen der E-Books hat gezeigt, wie sehr Leseratten und Kulturinteressierte an Papier und Tinte festhalten. Wie also finden Kulturthemen ihren Platz im Onlinejournalismus?
Das weiche, dünne Papier zwischen Daumen und Zeigefinger, der Geruch von Druckerschwärze und ein diskretes Rascheln der Seiten. All das ist Teil einer Realität, die einem beim Aufschlagen eines Buches augenblicklich entgegenspringt. Bücher sind wie die Schatztruhen unserer Kultur, Zeitungen wie Brieftauben, die die frohe Botschaft dieses Schatzes verkünden. Der Begriff “Kultur” ist menschlich, lebendig und hat etwas Warmes an sich. Es geht um Denker*innen, Künstler*innen und Autor*innen. Oder allgemein: Es geht um Menschen. Menschen, die sich die Zeit nehmen, aus dem System, bestehend aus kleinen immer weiterdrehenden Rädchen, auszubrechen, zu denken und etwas zu verändern. In diese Welt wollte niemand E-Books reinlassen. Warum also sollte es mit dem Onlinejournalismus anders sein? Aber können Freigeister nicht auch im World Wide Web ausbrechen?
Dass auf dem kalten, glatten Computerbildschirm durchaus eine schöne neue Welt entstehen kann und spannende Kulturthemen ein neues Zuhause finden, zeigen neue virtuelle Formate. In der Tat bietet der Onlinejournalismus viel Platz für Kultur, unendlich viel Platz um genau zu sein. So entsteht ein neues Phänomen, das sich diesen Platz zur Stärke macht: das Longread-Format. Lang und ausführlich recherchierte Geschichten erscheinen so in der Online-Welt, die ja bekanntlich für Schnelligkeit und Kürze steht, wie es die sozialen Netzwerke tagtäglich beweisen. Longreads hingegen nehmen sich viel Zeit. Die im Jahr 2009 gegründete Plattform Longreads.com sammelt das beste Storytelling unter einem Dach. Einziges Kriterium: Die Texte müssen sich aus mehr als 1500 Wörter zusammensetzen. Unter der Kategorie “Arts & Culture Writing” sind alle gängigen Feuilleton-Themen vertreten. Von der Überlegung zu Michael Jacksons Berühmtheit bis zu einer bewegenden Reportage über zwei Familien, die vom Umgang mit den Hirnschäden ihrer ehemaligen Boxer-Söhne berichten, ist alles dabei. Überhaupt nicht roboterhaft, sondern sehr nah am Menschen nehmen sich die Longreads die nötigen Zeilen und können so den Kulturthemen den Platz bieten, den sie verdienen.
Der Onlinejournalismus bietet jede Menge Vorteile
Doch es gibt weitaus mehr als nur Platzgründe, die den Onlinejournalismus so attraktiv machen. Ein weiterer Vorteil ist die Schnelligkeit – genau, online kann nicht nur Longreads – mit der sich kein anderes Medium so sehr brüsten kann. Der geschriebene Text erscheint schnell online und kann von allen möglichen Menschen gelesen werden. Auch geografische Gegebenheiten spielen dabei keine Rolle mehr. Davon profitiert zum Beispiel “das erste unabhängige und überregionale Theaterfeuilleton im Internet”, wie sich die Seite nachtkritik.de selbst definiert. Das Erfolgsrezept ist so simpel wie genial: im gesamten deutschsprachigen Raum erscheinen Rezensionen von Theaterpremieren, die sozusagen über Nacht geschrieben worden sind. Abends ins Theater, ein Gläschen Wein, ran an den Laptop, hochladen und schon hat die Leserschaft die Kritik frisch am Morgen nach der Premiere. Das Projekt startete im Jahr 2007 und verzeichnete 2014 bereits fast 270.000 Visits aus über 60 Länder. Die anfängliche Skepsis der Kulturinteressierten und Branchenkenner verflog rasch und heute ist nachtkritik eine angesehene Plattform, vor allem für Theaterrezensionen.
Ein vorerst letzter Grund, warum sich Kultur online so wohl fühlt, ist die Möglichkeit das Beste vom Besten zu sammeln und zu kuratieren. Plattformen wie mediasteak.com oder perlentaucher.de tasten sich in der Medienwelt vor und nehmen alles mit, was richtige Kulturinteressierte nicht verpasst haben dürfen. Perlentaucher legt den Fokus dabei ausschließlich auf Kultur und gilt somit explizit als Kulturmagazin im Netz. Neben der Presseschau, veröffentlicht die Plattform auch eigene Artikel und hat sich so auch einen Namen in der Feuilletonwelt gemacht. Mediasteak hingegen ist ein junges Projekt aus dem Jahr 2013, das die Vision “eines perfekten Unterhaltungsprogramms” umsetzen möchte und so die Fernsehlandschaft nach den besten Sendungen unf Filmen durchforstet. Die virtuellen Ideen ermöglichen so maßgeschneiderte Angebote.
Die anfänglichen Debatten über das Digitale auch in der Kulturwelt haben die Frage aufgeworfen: “Print oder Online?” Dabei geht es gar nicht darum, sich zwischen Print- und Onlinejournalismus entscheiden zu müssen. Vielmehr bietet die digitale Welt eine Ergänzung und eine Vielfältigkeit, von der wir nur profitieren können.