Auf Selbstfindungstrip ins Paradies

Armin Petras Inszenierung über Christa Wolfs Meilenstein „Der geteilte Himmel“
Kann sich nicht entscheiden: Rita (Jule Löwe) ist zerrissen zwischen ihrer großen Liebe Manfred (rechts, Tilmann Strauß), der in den Westen will, und ihrem politischen Idealismus beim Aufbau des Sozialismus in der DDR. Foto: Dorothea Tuch

Armin Petras Inszenierung über Christa Wolfs Meilenstein “Der geteilte Himmel” geht an der Berliner Schaubühne inzwischen in die vierte Verlängerung. Trotzdem bleibt es ein Stück der verpassten Chancen.

“Der Bodensatz der Geschichte ist das Unglück des Einzelnen”, sagt Rita zu Manfred. Das Liebespärchen füreinander bestimmt und doch so unterschiedlich, getrennt durch den Mauerbau, begegnet sich zu Beginn der Inszenierung von Armin Petras im Jahr 1989 wieder. Beide stehen auf einer Bühne, sie balancieren auf einer zum Laufsteg verkommenen Demarkationslinie, das die Zuschauerreihen in zwei Hälften teilt. Resigniert rekapitulieren sie die vergangene Zeit. Durch die Ferne wächst eben doch keine Liebe.

Weg vom Roman, hin zur Poetik

Es ist 1961, der 29-jährige Chemiker Manfred (gespielt von Tilmann Strauß) geht genervt vom Kommunismus kurz vor dem Mauerbau mit seiner Geliebten Rita (Jule Böwe) nach Westberlin, die wenig später aus Verantwortung für den Sozialismus in den Osten zurückkehrt. Doch zuvor senkt sich erst einmal der Eiserne Vorhang. Kay Bartholomäus Schulze kommt in Militärmontur hinzu; Eimerweise schütten sie zu dritt unzählige kleine Glasstückchen auf die längliche Bühne. Empfindlich knirscht es unter den Füßen, jeder Schritt soll hier wehtun, Verletzungen, auch emotional, nicht ausgeschlossen.

Rita besucht ihren Geliebten häufig im Westen, projiziert durch Videoaufnahmen an den Wänden hinter den beiden Zuschauerblöcken (typisch Petras). Immer wieder sieht man die beiden am Kaffeetisch, beim Zähneputzen und Zukunftplanen. Die unbeschwerten Momente währen nicht lange. Die Mauer wird gebaut, Rita bricht zusammen. “Der Kern der Gesundheit ist Anpassung”, sagt der Arzt (KB Schulze), in dessen Obhut sich Rita begibt und mit ihm versucht, kühl im anderen System weiterzuleben. Jule Böwe verkörpert hier eine sehr feinfühlige Rita, die in gefühlvollen Lyrik-Schnipseln ihren Schmerz zum Ausdruck bringt. Das ist wohl auch das, was Petras will: Weg vom Roman, hin zur Poetik. Auf dem ersten Blick ist das recht angenehm, passend zu einem grauen Herbsttag breiten sich die Worte wohlig warm im Studio des Nebengebäudes der Berliner Schaubühne aus.

Petras lässt die politische Dimension des Stücks außen vor

Zwischen Herzschmerz und Selbstfindung gibt es allerdings auch allerlei Kalauer: Zum Beispiel dann, wenn Rita den sozialistischen Produktionsbetrieb im Waggonwerk kennenlernen will. Mit Presslufthammern stehen die drei Schauspieler in blauer Uniform auf der Bühne, singen Sonja Schmidts ollen DDR-Schlager “Ein himmelblauer Trabant” und wirken damit auf das überraschend jüngere Publikum (wohl eher unfreiwillig) komisch. Das war es dann aber auch schon mit der Auseinandersetzung über die gesellschaftlichen Verhältnisse zur damaligen Zeit. Denn Armin Petras lässt die politische Dimension des Stücks außen vor. Christa Wolf, eine der bedeutendsten Schriftstellerpersönlichkeiten der DDR, schrieb ihre Erzählung zwei Jahre nach dem Mauerbau. Der individuellen Entscheidung Ritas, das Land zu wechseln, gibt sie angesichts der damaligen Verhältnisse auch die Dimension einer politischen Entscheidung. Doch Petras scheint diese Debatte nicht zu suchen. Das ist umso bedauerlicher, da man ihn eigentlich als jemanden kennt, der für ein dezidiert politisches Theater steht. So kommt am Ende auch niemand in den Versuch zu beurteilen, wer Recht hatte: Manfred oder Rita.

Ein gefühlvolles Stück über die Liebe zweier Menschen und die Suche einer Verlassenen nach sich selbst

“Steig doch aus da. Vielleicht finden wir für dich etwas anderes”, fragt Manfred zu seiner Rita. Doch die antwortet: “Da kann man nicht einfach aussteigen, ich kann das nicht.” Warum denn eigentlich nicht?, möchte der Zuschauer da gern entgegnen, der während des gesamten Stückes eine Rita zu sehen bekommt, die permanent zweifelnd auf der Suche nach Selbstfindung ist.

Zurück bleibt ein gefühlvolles Stück über die Liebe zweier Menschen und die Suche einer Verlassenen nach sich selbst. Das eröffnet zwar eine größere Wirkung auf die intimen, liebevoll und vielfach auch herzerwärmenden Poesiefragmente, die sich Rita und Manfred in diesem ansprechenden Bühnenbild (Annette Riedel) so hin und herwerfen. 27 Jahre nach der Wiedervereinigung wirkt das für einen Stoff, wie ihn “Der geteilte Himmel” vorlegt, aber etwas mutlos.

Am Ende schließt sich der Kreis, Rita und Manfred stehen wieder beisammen, 1989, Mauerfall. “Die Jungen haben unsere Welt längst vergessen. Blindheit hat Blindheit abgelöst”, spricht Manfred kurz vor Schluss resigniert ins Publikum. Schade, dass auch Petras seine Zuschauer hier etwas blind zurücklässt.