Everybody is welcome

Susanne Kennedys Women in Trouble
Foto: Julian Röder

Platte Dialoge, ausdruckslose Gesichter, austauschbare Figuren – und Begeisterung. Mein Sitznachbar, den ich nur durch penetrante Überzeugungsarbeit in die Volksbühne habe schleppen können, beugt sich nach der Hälfte der Vorstellung zu mir und flüstert: “Du hast mich bekehrt. Theater ist geil.”

Ist es das? Was ist denn da so geil? Susanne Kennedys Women in Trouble, die erste Premiere im großen Saal unter Chris Dercons Intendanz, ist vor allem erst mal widersprüchlich: Der Abend verhandelt Schnell(leb)igkeit, aber alles an ihm ist nervtötend langsam. Die Bilder sind bunt und knallig, doch zeigen generalisierte Uniformität. Das Stück ist strapaziös und überfordernd, und gleichzeitig hypnotisch ruhig.

Wie geht das zusammen? Der Koloss auf der Bühne von Lena Newton – ein soeben gelandetes Raumschiff? eine Plastik-Oase? – dreht sich unaufhörlich: ein Konvolut aus Arztpraxis, Wartezimmer, Film- und Fitnessstudio und Schauplatz einer Fernsehshow, inklusive leerem Whirlpool. Was haben diese Orte gemeinsam? Sie sind maximal unpersönlich, ungemütlich, Un-Orte bar menschlicher Interaktion, denen die immerflimmernde Präsenz von Flatscreens ein Minimum an Leben einzuhauchen versucht. In diesen Räumen, die vor allem aus polierten Oberflächen bestehen, tummeln sich Menschen, wie Avatare aus einem Computerspiel: Sie sehen gleich aus, sprechen mit derselben Stimme, die vom Tonband kommt, tragen Latexmasken auf dem Gesicht und die Uniform des modernen Menschen (Jeans, T-Shirt, Turnschuhe). Die Frauen spielen alle Angelina Dreem, gleichzeitig Schauspielerin, krebskranke Patientin, Tochter und Liebhaberin, die Männer ihre jeweiligen Gegenparts, Regisseur, Arzt, Liebhaber, Journalist.

Wie schon in ihren vorherigen Produktionen Fegefeuer aus Ingolstadt und Warum läuft Herr R Amok?, die beide zum Theatertreffen eingeladen waren, dekonstruiert Susanne Kennedy en passant das Theater: Was macht Darsteller aus? Was ein Stück? Weder Gesichter noch Stimmen ihres Ensembles sind zu erkennen, alle fügen sich passgenau in bestehende Hüllen ein und bewegen die Lippen zum Playbacktext. Doch Women in Trouble folgt keiner Geschichte, keinem Plot. Es ist eine transmediale Collage aus Zitaten und Banalitäten, aus Wohlfühlsprech (“Here everything is possible and everybody is welcome”) und Zynismus (“Is there a political scene or only love scenes?”). Susanne Kennedys Text, den sie aus Soaps, Filmen, Reden, Kommentaren, Werbungen und Büchern zusammengesetzt hat, zelebriert ebenso wie Bühne, Kostüme und Licht die Oberflächen. Sie blitzen und glänzen in Sonnenuntergangsfarben, widersetzen sich jeglicher Tiefe. Natürliches erscheint in all-round Plastikästhetik, in Form der Pflanzentapete oder einem Fernsehbild. Ist das die maximale Künstlichkeit, oder ist das Hyperrealismus, der schmerzhaft unsere Lebenswelten aufzeigt, allesamt aus einem Guss?

Women in Trouble ist eine genial präzise wie deprimierende Verbild- und -sinnlichung des Zeitgeists: Technologie im Übermaß, Automatikstimmen vom Band, pseudosubtile Werbung, die sich als Lifestyle tarnt und auf T-Shirts eingeschlichen hat, Bullshit-Dialoge als ernstgemeintes Kommunikationsmittel, grassierender Sexismus nebenher, und vor allem: Menschen, die nur aus Schein bestehen, deren Sein bloß zu erraten ist, wenn es das denn überhaupt noch gibt. Kann Inhaltslosigkeit denn mit Inhalten angegangen und hinterfragt werden? Oder kann sie derart beschleunigt werden, ähnlich wie die Akzelerationisten rund um Armen Avanessian den Kapitalismus beschleunigen wollen, bis sie sich mit ihren eigenen Waffen schlägt und selbst auffrisst?

Susanne Kennedy bringt eine optimistische Hyperdystopie auf die Bühne, in der Tod und Leben ineinander übergehen, denn die Wiedergeburt ihrer Avatare steht immer gleich bevor. Das ist Theater im ewigen Loop, Theater als GIF, Theater, das niemals endet und von vorne beginnt. Aus welchem Material das Leben noch ist? Hier ist das Leben ein Medienmosaik, Video, Audio, Hochglanzmagazin, ein Leben aus Plastik, aber hochwertigem.