10. February 2020
Franziska HerrmannÜber das Aushalten

Foto : Sophie Vinetlouis
Essay zur Oscarnacht 2020
Letzte Nacht in dem Land derer, die sich auf einer roten aufgerollten Schleppe im Aushalten üben. Derer, die selbst eine Schleppe tragen. Und doch keine Könige sind. Wir kennen sie, so denken wir. Eingefroren und in selbst gewählter Pose blicken sie uns im Hochglanzformat das ganze Jahr über an. Als Standbild. Als Fotografie. Und jetzt plötzlich als Bewegtbild, das sie im Aushalte-Modus zeigt.
Es ist vermutlich die gefragteste Eigenschaft, die man in Hollywood braucht. Aushalten, dass man die Rolle nicht bekommt. Aushalten, dass alle über den eigenen Beziehungsstatus informiert sind. Aushalten, dass der Regisseur einen begrapscht. Aushalten, dass man überall fotografiert wird. Klar, dass es die Euphorie nicht auf den roten Teppich schafft! Und so wurde in der Oscarnacht 2020 in buddhistischer Zen-Haltung altersmilde vor sich hin gelächelt, es wurden Mundwinkel nach oben verzerrt und manche Berühmtheit wartete auch einfach nur, bis die 20 Sekunden Showtime vorbei waren.
Zwei umarmten sich, inszenierte Buddyness – schließlich kennt man sich noch aus alten Mafiosizeiten bei Scorsese. Das Ganze ist so starr und steif als würde man den Applaus im Theater vor den Stückbeginn legen. Es gibt einfach (noch) nichts zu sehen. Das “very beautiful“ der Fotografen trifft manchen Narzissten direkt ins Herz – doch bei den meisten sucht man Authentisches vergeblich. Wir sehen Frauen, die ihre Männer begleiten (sehr viele!) und wir sehen Medienprofis mit bis in die letzte Faser angespannter Muskulatur.
Ab und zu entspannen sich die eigenen Gesichtszüge, denn hin und wieder taucht jemand auf, den man kennt. Doch was man sich eigentlich wünscht, ist: Dass der Schauspieler, der ja per se ein Spieler ist, den Zirkus doch endlich an sich reißt und eben diese absurde Situation verdreht, benutzt und entlarvt. Der etwas ausprobiert. Und zwar nicht die Rolle “alles gesehen, alles erlebt and I don`t care anymore“.
Denn Schauspieler können ja viel mehr. Wo sind eigentlich Joaquin und Leonardo? Wo sind die, die den roten Teppich benutzen könnten, um zu erfinden und etwas zu riskieren. Wie wäre es denn, es gäbe ein Aufwärmtraining auf Tschechovsche Weise. Mit der Schauspieltechnik des russisch-amerikanischen Theatermachers Michael Tschechov entwickelt man über eine bestimmte Körperhaltung einen glaubhaften Charakter.
So würden sie dann alle erscheinen und uns den Auftritt auf dem Teppich spielen, indem sie Feuer im Herzen und Stacheldraht im Kopf imaginierten oder auch Wasser in den Oberschenkeln und Gold in den Fingergelenken. Die sensiblen Künstler wären nicht schutzlos und es wäre dennoch interessanter als das pure Aushalten von 2020. Wäre das machbar im nächsten Jahr? Leo, Brad, Renée, Jennifer?