25. June 2020
Klaudia LagozinskiEine Studentin, die nicht mehr zoomen will
Kitas öffnen wieder – und was ist mit unserer Spielwiese? Die Sehnsucht küsst zwar, kann aber trotzdem langsam ihre Sachen packen und abhauen. Es gibt so viele Gründe für ein Studium in realen Räumen. Kann man das digitale Studium trotzdem lieb gewinnen? Hier geht es zu Episode 2.

Foto: Klaudia Lagozinski
Liebes Präsenzsemester,
wir kennen uns noch nicht lange, aber ich vermisse dich. Vor der Pandemie haben wir viel Zeit miteinander verbracht: Ob beim morgendlichen Kaffee im Joseph’s, den Kippen am Eingang oder den Pausengesprächen: Du hast meinem Leben viele Lacher geschenkt und durch deine Routinen Struktur vermittelt. Apropos Joseph’s: Ich vermisse es, mit den Mitarbeiter*innen Spanisch zu sprechen, während sie mir Kaffee brühen. Den Kaffee mache ich nun selbst, falls ich nicht vergessen habe, Kapseln nachzukaufen.
Wenn ich wenigstens wüsste, wann ich dich wiedersehen kann. Ich weiß, du bist nicht perfekt. Manchmal musste ich wegen dir früh aufstehen. Es gibt ja diese Menschen, die fallen aus dem Bett, duschen und sind sofort wach. Und dann gibt es mich, die langsamer hochfährt. Ich fahre hoch beim U-Bahnfahren: 25 Minuten zum Klarkommen. 25 Minuten, um morgens vom Schlaf- in den Arbeitsmodus zu kommen. Die fehlen mir jetzt.
Mein Schrittzähler lieferte, als du noch in meinem Leben präsent warst, wie von allein fünfstellige Werte. Jetzt muss ich das Gehen auf nach der Uni verlegen – vom Bett bis zum Esstisch –meinem provisorischen Arbeitsplatz – sind es nur 20 Schritte. Dank dir wusste außerdem ich immer, wie das Wetter ist, erlebte es jeden Tag. Nun staubt meine Regenjacke vor sich hin.
Seit du nicht mehr da bist, ist ein anderer in meinem Leben wichtig geworden: mein Laptop. Er ist nett und hilfsbereit, aber ich habe ein bisschen Angst, dass er unter der aktuellen Arbeitslast irgendwann zusammenbricht. Er muss so viel leisten im Moment. Noch strahlt er mich jeden Morgen mit seinem künstlichen Licht an und ermöglicht mir, meine Mitstudierenden zumindest zu sehen und zu hören. Aber wer weiß, wie lange noch.
Was mir noch fehlt? Alle Menschen eben nicht nur zu sehen, sondern auch zu treffen, die zu dir gehören: die Dozierenden, meine Kommiliton*innen, aber auch die Querflötenstudis, die für einen unverkennbaren Sound im dritten Stock der UdK sorgten – ob man wollte oder nicht, sie waren da.
Und nun sind sie es nicht mehr, genauso wenig wie du: Studieren hat seine Spontanität verloren. Für jeden Firlefanz muss man sich jetzt zusammenschreiben oder -telefonieren. Bier muss terminiert werden. Den Ort, an dem alle sowieso schon sind, gibt es nicht mehr. Bei der Planung von Dingen merkt man einfach: du fehlst. Auch, wenn man im Seminar etwas nicht verstanden hat. Weißt du noch, als ich einfach meine*n Nebensitzer*in fragen konnte? Geht auch nicht mehr, wurde in Chats ausgelagert.
Erinnerst du dich noch an diese Frage, die so oft gestellt wurde? „In welchem Raum sind wir jetzt?“ Das heißt nun: „Kannst du mir den Zoom-Link schicken?“ Die Orte, an denen wir uns nun aufhalten sind einsamer. Meist sitzt man dort alleine. Und erinnerst du dich noch an all die Ideen, die in Raucherpausen, auf den Sofas im Institut oder in der Mensa ausgefeilt und besprochen wurden? Dafür muss man nun in „Zoom-Breakout-Rooms“ oder wieder telefonieren.
Irgendwie gibt es von allem weniger, seit du nicht mehr da bist: Weniger Wege, weniger Kommunikation, weniger Motivation, weniger Schritte, weniger gemeinsames Bier, weniger Lachen, weniger hohe Decken, weniger inspirierende Gespräche. Und von vielem gibt es gar nichts mehr: kein mittelmäßiges Mensaessen, keine Aushänge für Veranstaltungen, keine Veranstaltungen, keine Querflöten in Dauerschleife und kein innerer Kampf darüber, ob man heute mal sportlich mit den Treppen in den Tag startet oder doch gemütlich den Aufzug in den dritten Stock nimmt, damit der Kaffee nicht verkippt.
Ich hoffe, dass du deine Absenz bald beendest. Nimm dir ruhig noch die Semesterferien Zeit für dich, genieß’ die Ruhe, aber bitte: Komm‘ zurück!
Herzlichst und hoffnungsvoll – eine Studentin, die nicht mehr zoomen will.