Verpackungsfrei liefern – Corona macht’s möglich

Trockenobst in Einmachgläsern.
Foto: Anna-Lena Schlitt

Die Müllberge wachsen und der Einzelhandel leidet. Ein Unverpackt-Laden in Berlin macht aus der Corona-Not eine Tugend und entwickelt einen Lieferdienst der besonderen Art.

Seit Beginn der Corona-Krise ist der Verpackungsmüll nach Angaben des Grünen Punkts in deutschen Haushalten um etwa zehn Prozent gestiegen. Auch in der Lychener Straße in Berlin platzen die Mülltonnen aus allen Nähten. Pizzakartons, Plastiktüten und Pappbecher ragen aus den Containern. Nicht weit entfernt: Christiane Siegs Unverpackt-Laden – DER SACHE WEGEN. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihn gegründet. Alle angebotenen Produkte erfüllen sieben Werte, erklärt Sieg. Sie sind bio, regional, fair gehandelt, vegan, bewusst, palmöl- und vor allem plastikfrei. 

Wer in Siegs Unverpackt-Laden einkaufen geht, bringt die Verpackung selbst mit. Ob Einmachglas, Brot-Box oder Jutebeutel – alles ist erlaubt. “Ich hab hier schon verschiedenste Sachen gesehen”, lacht Sieg, “zum Beispiel alte Kartons!” Wer die eigene Verpackung vergessen hat, für den stehen gespülte Second-Hand-Gläser im Laden bereit.

Vor dem Einkaufen müssen die mitgebrachten Behälter gewogen werden, dann erst kann es losgehen. “Das Gewicht der Behälter wird vor dem Befüllen gewogen und später an der Kasse vom Einkaufspreis abgezogen”, erklärt Sieg. In ihrem Laden gibt es ein “ganz normales Supermarkt-Sortiment”. In großen Glaszylindern an den Wänden finden sich Nudeln, verschiedene Sorten Reis, Cornflakes und Nüsse. In kleinen Gläsern gibt es Gewürze, aus einem großen Eimer kann Tahin abgefüllt werden. Kaffee gibt es auch – und eine Kaffeemühle zum Mahlen. 

Neben Lebensmitteln gibt es hier auch viele Nonfood-Artikel zu kaufen. In der Hygiene-Abteilung warten Zahntabletten, Creme und festes Shampoo darauf, abgefüllt zu werden. “Wir gehen viel in die DIY-Richtung”, erklärt Sieg. Deswegen gibt es für die, die Putz- oder Waschmittel selbst machen möchten, Natron und Zitronensäure zu kaufen. 

Alles wie immer?

Die Hygienevorschriften im Unverpackt-Laden sind streng – und das nicht erst seit der Coronavirus-Krise. “Tatsächlich hat sich für uns gar nicht viel geändert, weil wir ein sehr” – Sieg zieht das Wort in die Länge – “strenges Hygienekonzept haben”. Für eine Pandemie sei der Unverpackt-Laden damit also gut gerüstet. “Wie bei allen anderen Krankheiten auch, müssen wir dem standhalten”, betont Sieg. 

Für die Ware, die sich nicht kontaktlos aus dem Spender abfüllen lässt, gibt es Trichter, Zangen und Löffel in verschieden Größen. Die Abfüllhilfen werden nach der Benutzung direkt gespült, Oberflächen und Spender regelmäßig desinfiziert.

Am Hebel ziehen und schon füllt sich der mitgebrachte Behälter mit dem
gewünschten Getreide.
Foto: Anna-Lena Schlitt

Im Unverpackt-Laden ist also eigentlich alles wie immer. Wären da nicht die Masken im Gesicht der Verkäufer*innen – und die fehlende Kundschaft. “Erst haben alle eingekauft wie wild”, lacht Sieg. Denn auch in ihrem Geschäft wurde zu Beginn der Corona-Krise gehamstert. “Und dann war ein Loch, ein echt krasses Loch”, sagt sie. Anfangs hatte der Laden Einbußen um fast die Hälfte des durchschnittlichen Umsatzes. 

Gregor Witt, Vorsitzender des Berufsverbands der Unverpackt-Läden bestätigt diese Zahlen. Die meisten Läden verzeichneten Umsatzeinbußen von 30 bis 40 Prozent, einige sogar über 50 Prozent. 

Ein Problem der Hygiene? – das glaubt auch Witt nicht. Jeder Unverpackt-Laden unterliege – wie jeder Supermarkt auch – der Lebensmittelkontrolle. “Wenn es ein Problem geben würde mit unverpackt einkaufen, dann wären wir geschlossen worden”, so Witt. 

Bereits zu Beginn der Corona-Krise verschickte der Berufsverband Empfehlungen zu Hygienekonzepten an seine Mitglieder. Alle hätten die Maßnahmen umgesetzt: “Es wurde nochmal ein bisschen mehr gemacht als sowieso schon”, sagt Witt. Auch in Christiane Siegs Laden gibt es nun Desinfektionsmittel-Spender am Eingang und auf Nachfrage Handschuhe für die Kundschaft – natürlich aus Stoff. Nach der Benutzung kommen sie in die Waschmaschine.

Not macht erfinderisch

Der Einkauf im Unverpackt-Laden ist nach Einschätzung Witts auch in Zeiten von Corona unproblematisch. “Da muss keiner Sorge haben!”. Dennoch glaubt er, “dass es Verbraucher gibt, die wegbleiben, weil sie vielleicht doch Angst haben, dass sie sich im Unverpackt-Laden was holen”. 

Doch Not macht erfinderisch. “Wir haben dann alle, die im Laden keine Arbeit mehr hatten, unten ins Büro verbannt und die haben dann einen Online-Shop hochgezogen”, erzählt Sieg. Genauer gesagt hat ihr Team gleich zwei Online-Shops aufgebaut: Zuerst einen bundesweiten Versand von Nonfood-Artikeln und dann einen Lieferservice, der das gesamte Sortiment des Ladens für Berliner*innen direkt vor die Haustür liefert. 

Im Versand-Shop werden vor allem Kleinigkeiten wie Seifen bestellt. Ganz ohne Verpackung kommt die Seife allerdings nicht ans Ziel. Sieg erklärt: “Wir sammeln wir alles, was an Verpackung im Laden anfällt und wenn eine Bestellung reinkommt, wird sie darin verpackt”. 

Der berlinweite Lieferservice hingegen liefert in Pfandgläsern, um Verpackung zu sparen. Vier verschiedene Größen gibt es. Große Produkte wie Spaghetti kommen in einer recycelbaren Papiertüte. Die bestellten Lebensmittel werden von Sieg und ihrem Team im Laden abgewogen und in Gläser gefüllt. Bestellt werden Nudeln und Reis, aber “da sind auch Kürbiskerne drin, ein paar Cashews. Also so ein ganz normaler Single-Wocheneinkauf”, so Sieg.

An zwei Tagen der Woche, montags und donnerstags, werden die Bestellungen geliefert. Dann wird alles aufs Lastenrad geladen und in fünf Berliner Stadtteilen ausgefahren. Im Moment liefert das Team des Unverpackt-Ladens noch selbst. Wenn die Bestellungen weiter zunehmen, wollen sie mit dem Fahrrad-Kollektiv Fahrwerk zusammenarbeiten – und das Liefergebiet ausweiten. 

Aus dem Lieferservice soll auf Dauer das zweite Standbein des Ladens werden. “Als ich das Konzept für den Laden geschrieben habe, war von Anfang an ein Lieferservice dabei – so als kleiner Traum von mir”, erzählt Sieg. Doch das alltägliche Geschäft ließ eine Umsetzung des Plans lange nicht zu. “Erst in der Krise hatten wir so viele Kapazitäten frei.” Sieg lacht. Corona macht’s möglich.