Mehr als nur ein Pop-Export – BTS bei den Melon Music Awards 2019

K-Pop überrollt derzeit die globale Popindustrie. Die Boyband BTS bricht einen Rekord nach dem anderen . Ihre Show, wie die bei den Melon Music Awards 2019 zeigt, wie weit asiatische Künstler*innen der Welt voraus sind.

Hier geht es zu einer weiteren Kritik von BTS.

Die Auftritte von BTS sind explosiv und anziehend. Auch die Show bei den MMAs 2019 haben sie komplett vereinnahmt. Foto: @sruiz/Unsplash

Sieben junge Männer tanzen in perfektionierter Synchronisation inmitten eines Meers aus leuchtenden Kugeln, aufwendigen Bühnenbildern und ordentlich Pyrotechnik auf der Bühne des Gocheok Sky Dome in Seoul, Südkorea. Für 40 Minuten lässt BTS, die mit Abstand erfolgreichste Boyband momentan, vergessen, dass sie sich eigentlich bei den Melon Music Awards 2019 befinden.

Die südkoreanische Boyband BTS zählt derzeit zu den einflussreichsten Künstlern, die die Popmusik zu bieten hat. Erst kürzlich solidarisierte sich die Band über Social Media mit der Black Lives Matter-Bewegung und spendete eine Million US-Dollar. Die BTS Army, wie sich ihre Fanbase nennt, sammelte daraufhin in kürzester Zeit ebenfalls über eine Million US-Dollar, die an diverse Bürgerrechtsorganisationen gespendet wurden. Auch fluteten Fans auf Twitter umstrittene Hashtags wie “All Lives Matter” mit Kpop-Inhalten, um rassistische und diskriminierende Inhalte zu untergraben.

Schon lang nicht mehr Nische

Ihr Genre, Kpop, ist schon lange nicht mehr Nische. Aber erst durch Bands wie BTS oder Blackpink hat koreanischer Pop den Absprung aus Asien in den Westen geschafft und ist nun aus der globalen Popkultur kaum mehr wegzudenken. Diese Künstler begeistern weltweit Millionen von Fans, obwohl die meistens nicht mal die zumeist koreanischen Songtexte verstehen. Kpop ist das perfekte Beispiel, dass Musik eine universelle Sprache sein kann.

Die Kpop-Industrie in Südkorea ist bekannt für harten Konkurrenzkampf und eine Kultur der systematischen Massenproduktion. Große Agenturen binden durch ausbeutende Knebelverträge junge Talente an sich, die für den Traum einer ihrer Kpop-Idole ähnlich glitzernden Karriere jahrelang trainieren und sich zum Allround-Popstar striegeln lassen. Die Öffentlichkeit hingegen sieht nur makellose Gesichter und Haare so bunt wie die Musikvideos zu den aufwendig produzierten Popsongs.

Auch BTS (oder auch Bangtan Boys) passen perfekt in dieses vorgefertigte Format der dreamy korean boyband. Doch was macht sie anders? Warum erobern ausgerechnet sie die internationalen Charts und räumen als koreanische Band mehrmals Awards wie den Billboard Music Award oder den American Music Award ab?

Ein paar Antworten auf diese Fragen gibt ihr Auftritt bei den Melon Music Awards 2019. Die Show beginnt mit der Kulisse eines zerstörten Klassenzimmers. Kim Namjoon, genannt RM, führt mit dem Rapsong “Intro: Persona” in die Performance ein. RM war vor dem Debüt von BTS einflussreich in der südkoreanischen Underground-Rapszene und ist bekannt für seine schnelle und von pointierten Wortspielen durchzogene Raptechnik. Der Showbeginn im Klassenzimmer ist eine Reminiszenz an die Anfangszeit der Band, in der sie das Image der Schuljungen bedienten. Schon damals, 2013, erregten sie viel Aufmerksamkeit, weil sie anders als die meisten Kpop-Bands selbst in die Produktion ihrer Musik involviert waren. Im Gegensatz zu anderen Bands schrecken sie auch nicht vor Tabuthemen zurück; sie kritisierten wiederholt das strenge Schulsystem in Südkorea, in dem Schüler*innen unter enormem Leistungsdruck stehen und ihr Wert oft nur durch Leistung bestimmt wird.

Viele Gesichter, schnelle Bewegungen

Die Bühnenpräsenz von BTS ist anziehend, fast überfordernd. Zu viele Gesichter, zu schnelle Bewegungen, die hektische Kameraführung des Auftritts tut ihr übriges. Ein Paar Augen mehr wären hilfreich, um alles aufnehmen zu können. Sie spielen ihren aktuell erfolgreichsten Hit “Boy with Luv”. Ein zugegeben generischer Upbeat-Popsong, dessen einzelne englischen Zeilen es ermöglichen mitzusingen. BTS hat kein neues Rad erfunden, doch auf dem Rad, auf dem sie sich befinden, stehen sie ganz oben und teilen sich den Ruhm, den sonst nur englischsprachige Künstler erleben.

Die BTS-Diskografie ist halb Gute-Laune-Pop, der viel mit EDM-Beats arbeitet, hier und da auch Dubstep-Elemente einwirft. Die andere Hälfte besteht aus HipHop-Beats mit Rap. Die sieben Bandmitglieder teilen sich in drei Rapper und vier Vokalisten auf, allesamt sind sie begnadete Tänzer. Den jungen Männern ist die harte Arbeit hinter ihrem Auftritt anzusehen. Sie geben keine Sekunde der perfekt choreografierten Show weniger als 100 Prozent. Während des zweiten Teils der Show bei den MMAs bekommt jedes Bandmitglied seinen Moment auf der Bühne. V, Jin, Jimin, Suga, Jungkook, J-Hope und RM nehmen jeweils einzeln die riesige Bühne ein und ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Tanzeinlagen unterstreichen noch einmal, dass jeder von ihnen das Gesamtkonzept von BTS vervollständigt.

Angekommen im Pop-Olymp

Zum Abschluss ihrer Show verwandeln BTS mit ihrem Song “Dionysos” die Bühne in eine extravagante Party griechischer Götter auf dem Olymp. Background-Tänzer auf Pferden, eine riesige, goldene, aufgeblasene Raubkatze und die Band, die auf einer langen Tafel stehend einfährt. Flackernde Lichter, Explosionen – Reizüberflutung, aber auf die gute Art. Dionysos ist der griechische Gott des Weines, der Freude, des Wahnsinns und der Ekstase. In “Dionysos” geht es um den Überfluss, um Partys und Alkohol. Oder den Überfluss an Arbeit, in die sich BTS unermüdlich stürzt. In sieben Jahren haben sie sieben Studioalben und acht EPs in mehreren Sprachen veröffentlicht, unzählige Musikvideos gedreht und waren acht Mal auf Tour.

Die letzten Minuten ihrer Performance sind noch einmal ein energiegeladenes Fanal. Ihren Gesichtern sieht man die Erschöpfung an, die sie ihren Körpern nicht zugestehen. In einer letzten Choreografie bäumen sich die Popstars zu sprichwörtlich blendender Lichtshow und aggressiven Dubstep-Beats noch einmal auf, ehe sie sich schlussendlich auf die aufgereihten Stühle fallen lassen. Sie sind deutlich außer Atem. An diesem Abend räumen sie noch mehrere Awards ab, unter anderem in der Kategorie “Artist of the Year”. BTS ist die erste Band seit den Beatles, die drei No.1-Billboard-Alben innerhalb eines Jahres zählt. Die westliche Welt war nicht bereit für ein derartiges Pop-Phänomen, Eine Show wie die bei den MMAs 2019 bekommt man in dieser Größenordnung außerhalb Asiens normalerweise nicht zu sehen. An der Kpop-Industrie ist viel zu kritisieren; der Leistungsdruck grenzt fast an Menschenrechtsverletzung, die Schönheitsideale für Männer und Frauen sind in ihrer Überzogenheit lächerlich und gefährlich. Doch die teils auch politische Kraft, die BTS inneliegt, ist faszinierend und beeindruckend.