09. July 2020
Anna-Lena SchlittÜberwältigend underwhelming: BTS
Bei den Melon Music Awards reißt die K-Pop-Band BTS eine beeindruckende Bühnenshow ab. In musikalischer Hinsicht ist der Auftritt jedoch ein Flop.
Hier geht es zu einer weiteren Kritik von BTS.

Eine Gruppe Gladiatoren marschiert zu treibenden Beats. Von der Decke hängen sich in Reifen räkelnde Grazien. Die Tore Trojas öffnen sich und hineingeschoben wird das trojanische Pferd – auf seinem Rücken ein Dandy im weißen Anzug. Er rappt.
Zarte Klavierklänge. Der ganz in weiß gehüllte Tänzer tanzt wie ein Wesen aus Schall und Rauch. Flammen lodern, ungestüm lautes Brüllen, Feuerwände tun sich auf. Zu roughen Schlagzeugbeats steigt einer die Treppe zur Unterwelt hinab. In Nebelschwaden gehüllt, hockt ein anderer am Wasser. Kämpft tänzerisch mit ihm, um dann darin zu versinken. Plötzlich harte Elektro-Beats. Laserstrahlen. Robot-Dance. Und schließlich: ein Choral. Ein moderner Dionysos schreitet über die Bühne und sticht seinen Freiheitsstab in den Boden. Pow! Griechische Mythologie meets K-Pop. Die südkoreanische Band BTS huldigt mit “Dionysos” dem griechischen Gott des Weins – besingt aber das Exen von Shots. Was für eine Show!
Zwischen Boy-Band-Pop und Gangster-Rap
Dieser Auftritt von BTS findet 2019 bei den Melon Music Awards in Südkorea statt. Auf die Ohren gibt es eine Mischung aus Boy-Band-Pop und Gangster-Rap, auf die Augen eine Bühnenshow, die ihresgleichen sucht. Wasser, Feuer, Licht. Es knallt in den schrillsten Farben. Alles bewegt sich, dreht sich, verschwindet im Nebel und taucht wieder auf. Dass Dionysos und das trojanische Pferd nur begrenzt etwas miteinander zu tun haben – egal! Dass auch andere Bezüge auf die griechische Mythologie hinken – sei’s drum! Wer auf diesem Auge blind ist, kann in Hedonismus baden.
Neben den Bandmitgliedern fegt eine ganze Schar an Tänzern im Stile von MTVs The World’s Best Dance Crew über die Bühne. Doch auch die sieben Jungs performen nicht etwa die obligatorischen “ein Schritt zur Seite und wieder zurück”-Choreografien. Viele kommen aus dem Tanz – waren etwa Mitglied eines Street-Dance-Teams oder haben Modern Dance studiert. Sie sind Profis und das sieht man auch. Obwohl der Schweiß von Stirn und Oberlippe perlt, ist die körperliche Anstrengung der komplexen Choreografien keiner ihrer leichten Bewegungen anzusehen.
Die Show passt zur DNA dieser Band, gut kalkuliert und perfekt choreografiert. BTS wurde 2010 von der Unterhaltungsagentur Big Hit Entertainment auf dem Papier geplant und dann umgesetzt. Innerhalb von drei Jahren wurden die damals 15-Jährigen von der Agentur zu Allroundpaketen aus Sängern, Tänzern und Entertainern ausgebildet. 2013 veröffentlichte die Gruppe ihr Debüt-Album 2 Cool 4 Skool. Damals orientierte sich ihr Stil noch an der Underground-Rapszene – Goldkette und Snapback Cap inklusive. Irgendwie ulkig, aber immerhin mit Persönlichkeit.
Passionslose Perfektion
Aus den Möchtegern-Gangstern von damals sind längst perfekte Pop-Produkte geworden. Bei den Melon Music Awards 2019 trägt keiner mehr Goldkette. Heute zwinkern sie unter Bowl-Cuts und verteilen Kusshände in perfekt sitzenden Anzügen. Mit Bomberjacke oder Rüschenhemd werden aus den Jungs echte Bad Boys oder Romeo-Verschnitte – zumindest optisch. Und Optik, so macht es den Anschein, ist das, was bei BTS zählt. Hier sitzt das Make-Up so präzise wie die Tanzschritte – und dank Autotune auch jeder Ton.
BTS haben die Pop-Formel für Erfolg gefunden. Die Liste ihrer Auszeichnungen ist schier endlos, von 15 Millionen verkauften Alben allein in Südkorea können andere nur träumen. Das ohrenbetäubende Kreischen der Fans zerstört noch den letzten Zweifel: BTS ist erfolgreich. Aber nicht gut.
Das Motto “Alles und davon viel” geht nicht auf. Während die Bühnenshow alles in ihren Bann zieht, langweilt die Musik gewöhnlich vor sich hin. Der Genre-Mix hat Medley-Charakter und hilft nicht darüber hinweg, dass BTS nicht nur professionelle Sänger vereint. Während die Rap-Passagen von RM und Suga überzeugen, sind die Pop-Einlagen bestenfalls blass. Deshalb lieber noch ein goldener Tiger und ein bisschen Pyro-Technik.
Man wünscht sich inständig, das Feuer, was auf der Bühne brennt, möge in den Sängern Funken schlagen. Denn auf der Bühne stehen keine Künstler, sondern Surrogate. Hier wird funktioniert – in passionsloser Perfektion, die mehr Schein als Sein produziert.
Das passt in eine Welt retuschierter Fotos, korrigierter Nasen und heilsversprechender Speckweg-Höschen. In eine Welt, in der sich Glück vermeintlich kaufen lässt. In dieser Welt wird der Wert eines Konzerts am Ticketpreis gemessen und das Erlebnis an der Zahl der Likes. Das erklärt dann auch, warum alle im Zuschauerraum hinter ihren Handys verschwinden. #BTS #besttimeofmylife