Mittwochsmonate

Kontaktbeschränkungen, Arbeitsabsagen, Homeoffice. Eine Pandemie schiebt dem Leben, wie wir es kennen, einen Riegel vor. Und auf einmal fühlt sich alles an wie eine Neuauflage der Sommerferien nach dem Abitur, was auch nur die unschuldige Version von Arbeitslosigkeit ist. Wohin mit sich, wenn man nirgendwohin kann, fragt Ben-Robin König sich und sein Bett.

Aufstehen? Vielleicht morgen. | Photo by Robert Nelson on Unsplash
Aufstehen? Vielleicht morgen. | Photo by Robert Nelson on Unsplash

Verklebt fühlen sich die Lider an, der erste Augenaufschlag fällt allzu schwer, ein Blick auf das essentielle Gerät zeigt 8:19. Die Sonne scheint, die Welt lockt, die Vögel singen im erprobten Kanon, das Straßenrauschen gibt die vertraute Alltagsbasis; es gibt so viel, was zu erledigen wäre, erledigt werden könnte, und doch: zu früh. Der Tag, er lockt nicht, die Welt, sie ruft nicht.

Erste Bewegungen geben einen Statusbericht, schwerfällig. Wer bin ich, wo war ich, was ist gestern passiert, was habe ich alles in mich gestürzt und war der Spaß den jetzigen Zustand wert, an diesem Sonntagmorgen, es könnte bisweilen auch Samstag sein oder Montag, bei besonders Hartgesottenen vielleicht auch Dienstag, aber es ist Freitag. Immerhin dieser Umstand gibt kurz das warme Gefühl von Normalität. Seltsam, dass genau diese gerade erspürt werden kann, wird sie doch sonst eher lakonisch hingenommen. Normalität als Utopie, an einem Freitag, der Sonntag kaum mehr sein könnte. 

Doch halt, normalerweise, welch Wort, normalerweise weiß ich zumindest Bruchstücke, weiß wo ich war, mit wem ich war, weiß von Planungen, Vorgeplänkel, Taxi- oder Bahnfahrten, irgendwas. Allein, derlei fand nicht statt, Pläne gab es keine, niemand war, geschweige denn irgendwo, außer Zuhaus. Welcher Tag war es, ach, Freitag. Welcher Freitag? Sind wir noch in der Woche, hat die nächste schon begonnen, ist der Wochenstart Montags oder beginnt sie neuerdings vielleicht Mittwochs, allerdings nur jeden dritten? Sind wir in einer endlosen Woche, oder ists ein endloses Wochenende? Zeit, die eigentlich verrinnt, ist plötzlich endlos. Und doch ist der Tag schon fast vorbei, kaum hat er begonnen. 

Der Bücherstapel blickt vorwurfsvoll hinüber. Immer noch ist er von einschüchternder Größe, das aktuelle Buch mit seiner vierstelligen Seitenzahl immer noch ein literarischer Pfändertunnel, in dem ich im Lesestau stehe. Morgen vielleicht. Erstmal die Zeitung, die Nachrichtenticker, Analysen, Statistiken, Grafiken, Kommentare und Essays, ein wenig Kurznachrichtendienste, noch mehr Bilderflut; erstmal in die Welt im Bildschirm, die in undeutbarer Ferne vorüberzieht. Dass das Heimbüro vieler nicht Quell der Produktivität ist, macht sich nicht bemerkbar, im Gegenteil. Wer schafft es nur, bei all dem Input doch so viel Output zu geben? Und wie ist eigentlich meine derzeitige Downloadrate? Habe ich noch Tee? Was sagt eigentlich der Kalender, ist der überhaupt noch wichtig?

Er ist. Er zeigt fast Jahresmitte. Irrsinnig, allein der März war ein wahrnehmungstechnisches Schaltjahr in seiner Länge, der April hingegen bestand nur aus knapp zwei Wochen; und der Mai, fand der überhaupt statt? Der Juni verging, ein Monat wie eine Lockerungsübung; nun aber ist Juli, die Lockerungsübung ist in manchen Bundesländern inzwischen eine tatsächliche, nur innerlich fußt derlei nicht. Geist, Nackenmuskulatur und Rücken bilden ein verspanntes Trio. Ein Uneiniges. Während der Körper manchmal gar beim Atmen auf eine Mischung aus An- und Entspannung pocht, sei es qua Massage, sei es mittels regelmäßigem Sport, betätigt der Kopf erneut die innere Schlummertaste. Fünf Minuten noch, im Zweifel auch fünf Monate. 

Andernorts mögen Manche noch so spuckschaumreich ihr Leben zurückfordern, ich möchte nicht. Schon gar nicht das alte, uneingeschränkt. In Schlafroben wirkt die Welt sympathischer. Und mit ungemachten Haaren hat sie, so glaube ich, auch ein besseres Bewusstsein für das, was wirklich zählt. Gewiss, jeder Zustand ist temporär, aber schön wäre es, zumindest ein paar Interimsgewohnheiten in den Katalog universeller Riten zu übernehmen, ehe wir wieder zum Regelwerk übergehen.