SoKo ganz nah

Ausschnitt von SoKos Auftritt beim DaheimDabeiKonzert. Foto: MagentaMusik 360

Corona-Zeit ist Streaming-Zeit. In Berlin seit März 2020. Was mit der Übertragung von Bizets Carmen aus der Staatsoper und Sir Simon Rattle in der Philharmonie begann und mit DJ-Sets aus unzähligen Clubs fortgeführt wurde, ist inzwischen flächendeckend von Künstlern aus allen kulturellen Bereichen adaptiert worden.

Kreativität vs. Finanzstärke

Um sich als Streaming-Seite abzuheben, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder schafft man es, populäre Musiker zu gewinnen, die allein durch ihren Namen für ein großes Interesse und somit viele Besucher sorgen, oder man versucht, über den Stream hinaus einen unterhaltenden Mehrwert zu bieten. Inzwischen gibt es einige Seiten, die beispielsweise die Interaktion mit oder zwischen den Zuschauern ermöglichen. Die Verwirklichung solcher Ideen geht jedoch meist auf Kosten des Musikprogramms, weil das ohnehin zu kleine Budget bereits für die Umsetzung der Website investiert wurde. Infolgedessen tummeln sich auf solchen Streaming-Seiten vor allem unbekannte Musiker oder DJs und kuriose Alleinunterhalter. Andere Plattformen, meist die größerer Institutionen, verzichten auf Interaktions-Schnickschnack und trumpfen mit bekannteren Musikern auf. Zu dieser Sparte gehört MagentaMusik 360. Dass sich dahinter der Telefonanbieter mit dem pinken Logo verbirgt, lässt sich leicht erraten. Wurden hier in der Vergangenheit vor allem große Festivals und Konzerte übertragen, passte sich das Unternehmen der aktuellen Situation an und schuf mit Partnern wie Rolling Stone, Musik Express und Metal Hammer die #DaheimDabeiKonzerte. In den letzten Wochen gaben sich hier musikalische Größen wie Max Raabe, Fink, Mando Diao oder Eric Fish (Subway to Sally) die virtuelle Klinke in die Hand. Nun geht die Reihe zu Ende. Am vergangenen Freitag luden sechs Bands zum vorerst letzten Ohrenschmaus in ihre heimischen Wohnzimmer ein. Der erste Stream war der zugleich beeindruckendste.

Unglaublich intim und unendlich traurig

SoKo, mit bürgerlichem Name Stéphanie Sokolinski, wuchs in Bordeaux auf und erlangte 2007 mit “I’ll kill her” Bekanntheit. Inzwischen lebt sie in Los Angeles und gibt mit dem kleinen Live-Konzert einen Vorgeschmack auf ihr neues Album (VÖ 10.07.2020) Feel Feelings

Die junge Frau steht in einem kleinen, lichtdurchfluteten Zimmer dicht vor der Kamera, befestigt einen Kapodaster an einer zu groß wirkenden E-Gitarre und beginnt zu spielen: “We might be dead by tomorrow”. Ihre Stimme ist leise, fast gebrochen. Verstärkt und mit Hall versehen, passt sie perfekt zu den Klängen der einzeln gezupften Saiten. Verletzlich wirkt sie, traurig und irgendwie einsam – und so unglaublich nah. Es ist, als wäre man plötzlich selbst in diesem weiß-goldenen Zimmer, als würde sie einzig für den am Bildschirm klebenden Zuschauer singen und nicht für tausende Menschen überall auf der Welt. Dieses Gefühl ist ausgesprochen intensiv und in keiner Weise mit einem normalen Konzerterlebnis vergleichbar.

Der Hintergrund ist von gleißendem Licht fast komplett überstrahlt und erzeugt eine beinahe überirdisch wirkende, Atmosphäre. Auf einer goldbraunen Couch liegen zwei E-Gitarren und vor einem kleinen leeren Schreibtisch steht ein Röhren-Verstärker auf dem Boden. SoKo trägt ein Kleid mit großen weißen Punkten und breitem Kragen. Auf der bunten Halskette ist der Name Stella zu lesen und an ihrer rechten Hand glänzt ein überdimensionaler Löwenring. Es ist fast schon voyeuristisch, sie so beobachten zu können.

Nach dem zweiten Stück nimmt sie die Gitarre ab und verrät, dass sie nun ein paar neue Songs spielen wird. Am liebsten natürlich mit ihrer Band, aber das ginge ja nicht. Schüchtern, fast entschuldigend erklärt sie: “I will play it with my laptop. I hope that‘s okay?” Als sie sich nach unten beugt, um die Musik zu starten, ist im Spiegel gegenüber zu erkennen, dass die vermeintliche Kamera nur ein kleines Smartphone ist. Ein unerwarteter Cut zeigt, dass es sich nicht um ein Livestream-Konzert handelt, sondern um eine Aufzeichnung. Sie tritt erneut vor die Kamera und wirkt plötzlich nicht mehr so melancholisch: “Okay, watch out! Now we can do it with my band.” Die Musik setzt ein. Dominante, etwas verzerrt klingende Gitarrensounds muten psychedelisch an. SoKo dreht sich, bewegt sich durch ihr Zimmer. Sie singt vom Alleinsein, wie sie ihr Vertrauen verlor, sich immer mehr in sich zurückzog. All das spiegelt sich in ihrer Mimik wider, sie klingt verletzt, enttäuscht. Ihre Musik berührt. Man will sie trösten, ihr versichern, dass alles bald wieder besser sein wird.

Voller Melancholie ist auch der letzte Song des sehr intimen Wohnzimmer-Konzertes: “Being sad is not a crime”. Nach den letzten Tönen verkündet SoKo: „That is it“, und lächelt in die Kamera. “I hope we can do real concerts soon.” Denn wer wisse schon, fährt sie fort, ob das mit der Technik, mit dem Einspielen der Musik vom Laptop und der Aufzeichnung via Smartphone, wirklich gut klinge. Dann verabschiedet sie sich von ihrem virtuellen Publikum mit einem Luftkuss und den Worten “I hope, you were safe and healthy and home”.

Das Konzert von Soko ist hier zu hören.