22. September 2020
Annett Gröschnerdie Type: Pittiplatsch
Sailor Moon, R2-D2 oder die Tigerente – es gibt Figuren der (Pop)Kultur, die uns besonders geprägt haben – und auch heute noch Idole sind. Unserer Textkategorie „die Type“ ist die Ahnengalerie von Praxis. Hier sammelt sich, wer Einfluss hat und hatte: Held*innen des Alltags und Lieblingsbösewichte. Egal, ob aus Film, Serie, Buch, Comic oder Hörspiel. Wir zeigen, welche Fiktionen uns gefärbt haben und warum.

Hätte Pittiplatsch eine Mutter, würde sie ihm sagen: „Jetzt bist du ja auch schon ganz schön alt und immer noch nicht gewachsen“, und Pittiplatsch würde antworten: „Platschquatsch!“ Und dann ein bisschen beleidigt sein, aber nicht lange. Schon an der nächsten Ecke fiele ihm eine Entgegnung ein: „Pitti wächst langsam, aber dafür wird er 500 Jahre alt.“ Mehr als ein Zehntel davon hat er schon hinter sich. Pittiplatsch, kurz Pitti oder auch „Pittiplatsch, der liebe“ (Pitti über Pitti), hat aber gar keine Mutter, dafür zwei Freund*innen, Schnatterinchen und Moppi, sie eine Ente, er ein Hund. Sie ist eine schrecklich vernünftige Besserwisserin und er faul und dämlich, aber nicht bissig. Pitti dagegen ist ein Kobold, besser gesagt, ein in ein Koboldkostüm gesteckter Anarchist, dessen Credo learning by doing meistens in mittlere Katastrophen mündet. Das ist erstaunlich, weil er 1962, kurz nach dem Mauerbau und auf den Tag genau neun Jahre nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, das erste Mal im Kinderfernsehen der DDR auftrat. Im Fernsehen jenes Landes, in dem es, getreu Lenins Schrift Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus Anarchie gar nicht geben durfte, die kam als Plage gleich nach dem Pazifismus. Pitti hatte einen blondgefärbten Irokesenschnitt, lange bevor der Punk erfunden wurde, dafür aber keine Ohren, weswegen es auch kein Wunder ist, dass er nie auf die überaus vernunftbegabte Ente Schnatterinchen hört. Weil er den Lehrer*innen und Erzieher*innen zu frech war, wäre er nach einem Jahr beinahe wieder aus dem Programm entfernt worden, aber ein Aufstand der Kinder holte ihn wieder auf den Bildschirm zurück. Auch sie hatten keine Lust, abends ins Bett zu gehen, abzuwaschen oder bescheiden den kleinsten Apfel zu nehmen.
Pittiplatsch lavierte sich geschickt durch die Jahre, als eine Art umgekehrter Mephisto, der stets das Gute will und am Ende im Schlamassel landet. Einsichtig war er eigentlich nur, um seine Ruhe vor Schnatterinchen zu haben. Die hat am Ende immer recht, aber letztlich doch nur bis zum Abspann des Abendgrußes vom Sandmännchen. Beim nächsten Mal hat Pitti schon wieder eine Idee und stiftet Moppi zu Unfug an. Während der Hund etwas trottelig als der willige, aber faule Vollstrecker von Pittiplatschs Streichen daherkommt, verkörpert Schnatterinchen, Pittis Freundin, die gutwillige Pädagogin, die nicht straft, aber gern den Zeigefinger hebt. Eigentlich hätte ich mich als Kind mit ihr identifizieren müssen, vernünftig wie ich war, aber mir ging das Pädagogische ab, auch wenn mich die Lehrer*innen schon mit elf zum Vertretungsunterricht in die 1. Klasse schickten. Aus mir hätte durchaus ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden können, aber je älter ich wurde, desto öfter ist der Pittiplatsch in mir durchgekommen.
Als die DDR längst Vergangenheit war, Pitti aber, wie der Sandmann, die politische Wende überlebt hatte und nun als Abendgruß auf anderen Sendern lief, obwohl nach 1990 nicht eine neue Folge produziert wurde, spielte ich meinen Kindern die Tonkassetten der Episoden von Pittiplatsch, Schnatterinchen und Moppi vor. Zu meinem Erstaunen war die Subversivität sehr deutlich zu hören, nicht von ungefähr gab es Autor*innen, die ins Kinderfernsehen strafversetzt worden waren. Wenn die drei Figuren zur Gitarre sangen, hörten sie sich vom Duktus an wie Wolf Biermann in seinen besten Zeiten. Eine Erinnerung an den Ausgebürgerten für Eingeweihte. Wäre er darauf angesprochen worden, hätte Pitti sicher: „Ach du meine Nase“ gesagt.
Nach der deutschen Vereinigung kam es zu einigen unschönen Begegnungen zwischen Pitti und Westdeutschen, die sich unter Spielzeug so was wie Barbie oder Batman vorstellten. „Du hast aber eine schöne N*puppe“, sagte eine Frau in München zur Tochter einer Freundin, die mit dem Begriff nichts anfangen konnte. Von allen Spielzeugen, die übrig blieben, nachdem mein Sohn sein Kinderzimmer geräumt hatte, um irgendwo da draußen erwachsen zu werden, habe ich nur Pittiplatsch behalten. Manchmal, wenn mir ein Wort nicht einfallen will, sprechen wir im Chor: Denkedenkedenke, denkedenkedenke.
Zuerst erschienen in: Andrea Baron, Kai Splittgerber (Hg.): Helden der Kindheit: aus Comic, Film und Fernsehen, Büchergilde Gutenberg 2013 (vergriffen)