26. October 2020
Viola BlombergLit. Herbst #1 Die Frage nach der Mutterschaft
Die japanische Schriftstellerin Mieko Kawakami erzählt in ihrem Roman “Brüste und Eier” von Weiblichkeit, Schönheitsnormen und Kinderwünschen und zeigt, was es bedeutet, als alleinstehende Frau in Japan zu leben.

Foto: Wakaba Noda
Was wünscht man sich eigentlich, wenn man von einem “Kinderwunsch” spricht? Oft heißt es, man wünsche sich ein Kind von jemanden, den man liebt. Aber was ist, wenn man keine*n Partner*in an seiner Seite hat und sich dennoch ein Kind wünscht? Diese Frage stellt sich auch Natsuko Natsume, die Ich-Erzählerin des Romans Brüste und Eier der japanischen Schriftstellerin Mieko Kawakami. Natsuko hat weder einen Partner – ihre einzige Beziehung zu einem Mann ist vor vielen Jahren zerbrochen –, noch empfindet sie Lust an sexueller Nähe, wie sie selbst beschreibt: “Sobald ich nackt auf dem Rücken lag, verwandelte sich der Raum in einen Strudel, die Decke, die Wände, alles wurde zu einer schwarzen Spirale. Bei jedem Stoß wurden die Ringe größer, es fühlte sich förmlich so an, als würde mir eine schwarze Plastiktüte über den Kopf gestülpt.”
Der erste Teil von Brüste und Eier, der in Japan zuvor als eigenständige Novelle erschien und die Grundlage für den nun auf Deutsch erschienen Roman bildet, spielt im Jahr 2008. Es ist ein sehr heißer Sommer in Tokio, Natsuko lebt in einem kleinen Appartement und versucht, sich mit Schreibjobs über Wasser zu halten. Ins Rollen kommt die Geschichte, als die Anfang 30-Jährige Besuch von ihrer älteren Schwester Makiko und deren jugendlicher Tochter Midoriko aus Osaka bekommt. Nicht nur die familiären Bande teilen sie, alle drei hadern mit ihren Körpern aufgrund von gesellschaftlichen Normen, denen sie unterliegen. So will sich Makiko die Brüste vergrößern lassen, um mit ihren jungen Kolleginnen in der Bar, in der sie arbeitet, mithalten zu können. Ihrer pubertierenden Tochter ist das peinlich, seit Monaten spricht sie kein Wort mehr mit ihr. Dass die 12-Jährige selbst mit ihrem Körper kämpft, behält sie für sich. In kursiv eingeschobenen Tagebucheinträgen erfahren die Leser*innen von ihren Ängsten vor dem Eintreten der ersten Menstruation und vor den Veränderungen ihres Körpers: “Wenn man seine Periode bekommt, ist man geschlechtsreif und kann schwanger werden. Wenn man schwanger wird, kommt ein essender und denkender Mensch dazu. Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich heulen. Ich werde bestimmt kein Kind zur Welt bringen”, schreibt sie.
Mieko Kawakamis Roman zeichnet sich sprachlich vor allem durch die lebhaften Dialoge und Situationen aus, die detailgenau die Gedanken und Probleme der Protagonistinnen wiedergegeben und damit erlebbar werden lassen. So beschreibt beispielsweise Natsuko die Form der Brüste ihrer Schwester mit unterschwelligem Humor, der auch mal in Komik und Übertreibungen überschwingt: “Auf ihrer Brust, die nicht größer war als die Schwellung nach einem Mückenstich, saßen in großen Höfen zwei ebenso breite wie hohe, imposante Brustwarzen. Sie sahen förmlich wie Bedienknöpfe aus. Oder liegende Autoreifen.” Kawakami, die 1976 in Osaka geboren wurde, zählt zu den wichtigsten japanischen Autorinnen der Gegenwart. Ihre Karriere begann sie als Sängerin, bis sie 2007 ihr literarisches Debüt vorlegte, für den sie einen wichtigen japanischen Preis für Nachwuchsschriftsteller*innen bekam. Thematisch zeichnen sich ihre Werke vor allem dadurch aus, dass sie Problematiken aufgreift, wie die Selbstverwirklichung der Frau, die im patriachalistischen Japan bisher wenig Gehör finden.
In Brüste und Eier geht Kawakami auch Themen wie weibliche Körpererfahrung und der Frage nach Schwanger- und Mutterschaft nach. Im zweiten, sehr viel längeren Teil, den die Autorin der zuvor erschienenen Novelle hinzufügt und beide Teile als Roman zusammengebracht hat, liegt der Fokus auf der mittlerweile fast 40-jährigen Natsuko, die als Autorin an ihrem zweiten Buch arbeitet und nach Mitteln und Wegen sucht, als alleinstehende Frau Mutter zu werden: “Würde auch ich irgendwann ein Kind haben? Könnte ich, die weder einen Freund hatte noch einen begehrte, weder Sex wollte noch dazu in der Lage war, überhaupt eins haben?” Laut japanischem Gesetzt: Nein, denn in Japan dürfen alleinstehende Frauen sowie homosexuelle Paare eine Behandlung mit Fremdsamen nicht in Anspruch nehmen. Und auch ihre Freundinnen und ihre Familie können Natsukos Wunsch nach einem Kind nicht teilen, werfen ihr sogar vor, etwas völlig Egoistisches und Grausames zu planen, das man nicht rückgängig machen könne. Mit ihrer Schwester, die ihr vorhält verrückt zu sein, da für “diese Dinge der liebe Gott zuständig” sei, gerät sie bei dem Thema Samenspende in einen großen Streit.

Autorin Mieko Kawakami, die für Brüste und Eier den wichtigsten japanischen Literaturpreis, den Aktuagawa-Preis erhielt, wirft ein Licht auf die Frage, warum der Wunsch nach einem Kind so stark ist: Weil Babys so süß sind? Weil man Angst vor der Einsamkeit hat? Oder weil man seine Möglichkeiten als Frau ausschöpfen möchte? Fragen, die in Japan sonst nicht aufgegriffen werden. Dort gilt das konventionelle Familienmodell als das höchst angesehenste, so dass von Frauen erwartet wird, dass sie all ihre Energie und Zeit in ihre Rolle als Mutter stecken. Für individuelle Wünsche bleibt wenig Raum. Mieko Kawakami findet zwar keine eindeutige Antwort auf die Fragen ihrer Protagonistinnen, dennoch hat sie mit Brüste und Eier einen Roman geschaffen, der unaufgeregt und jenseits von romantischen Visionen intime Einblicke in das reale Leben von Frauen gewährt und ihren Willen nach Selbstverwirklichung aufzeigt. Frauen, denen zwar verschiedenen Lebensentwürfe angeboten werden, deren Umsetzung aber immer noch eine Befreiung von den Vorstellungen und Erwartungen vorheriger Generationen bedeutet, was sich in vielerlei Hinsichten als schwierig und schmerzhaft herausstellt. Kawakami gelingt es auf knapp 500 Seiten, die der vielschichtige, sehr lesenswerte Roman auch braucht, diese großen Herausforderungen, denen sich Frauen sowohl in Japan als auch auf der ganzen Welt stellen müssen, zusammenzubringen.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier, Roman, Dumont-Verlag, Köln 2020. Übersetzung: Katja Busson