Einmal geht noch, einmal gehts noch raus

Wenn der 1. Mai auf den 31. Oktober fällt. Foto: Ben-Robin König

Dieser Text setzt sich vor allem mit dem Selbsterleben der letzten Stunden eines zivilisierten Sündenpfuhls im Angesicht seiner einstweiligen Schließung auseinander, denn – das Bild dieser Pandemie ist vor allem eines der egoistischen Befindlichkeiten.

Ein Impulseinkauf geht diesem Wochenende voraus. Pflichtbewusste Isolation, produktive Vorhaben der Nach- bzw. Vorarbeit, ein gefüllter Kühlschrank sind Teil des Programms, einzig fehlt zur Völlerei noch ein berauschendes Element. Die Frauenstimme am Telefon sprach von Popcorn, aber der Auftrag war klar – Alkohol. Und Popcorn. 

Im Lidl bot sich Hard Seltzer feil, eine amerikanische Sensation. Es ist, als hätte jemand diese künstlich fruchtversetzten stillen Wässerchen mit Kohlensäure und dem Alkoholgehalt eines Bieres versetzt, Alkopops für Menschen jenseits der 17. Dazu etwas naturtrübes Radler, trockener Markensecco im Angebot, gern zwei Flaschen, eine Packung Nudeln, und siehe da: Karamellisiertes Popcorn gabs auch.

Den weniger produktiven Abend gilt es im weiteren auszublenden, ebenso lange Gespräche über Vernunft und Ausflüchte in ein gutes Leben, oder das, was man dafür hält. Der Samstagmorgen startet gemächlich, aber vorhabenvoll. Bis eine Nachricht ebenjene Ausflucht ankündigt. Brunch zu viert, 13 Uhr, dekadentes Bistro, die Kellner*innen sprechen mit amerikanischem Akzent, die Karte auch, der Bloody Mary verspricht viel und kann vor lauter Raucharomen doch wenig. Klar wird da zugesagt, Pastrami und Sub mit Fenchelsalami, Ham und hauchdünnem Käse waren schließlich wunderbar, der French Toast erst recht, nur hätte es ein Spritz sein sollen, so die einhellige Meinung.

Weiter zum Markt, den eigentlich gefüllten Mägen noch eine Pinse einflößen. Die kurzhaarige Rüstige vom Käsestand mahnt der randständigen Spaßgesellschaft Maskenpflicht an, allein trug sie Zeit ihres suchtschuldigen Kippenkonsums selbst keine.

Hier könnte die Erzählung enden, doch während der Abend eines müßiggängigen Samstags primär von der Frage getragen wird, ob Herd oder Rufnummer des griechischen Restaurants bedient werden und das Hard Seltzer schon wieder schmeckt, kommt eine Nachricht. „Hunger?“, will D. wissen. „J@@@” die wahrheitsgemäße Antwort. 

Die Straßen sind wie erwartet eigentümlich voll, die Stimmung arg sommerlich, wäre es nicht nasskalt. Pubertierende Mädchengruppen vermitteln das Feeling, das im Sommer sonst nur marodierende Abschlussfahrten vermögen, erste Zweifel an der Gesellschaft, soweit alles normal. Kurze Zeit später dann Treffen am Reuterplatz, es gibt – natürlich – Sandwiches niederländischer Art, dazu Pommes Sspessial. Während es auch hier schmackend ist, schlagen Wurfgeschosse in der eng besetzten Außenbestuhlung der Bar nebenan ein.

Menschen springen auf, Gläser stürzen, tumultartige Szenen. In Wurfreichweite bauen sich Halbstarke der Gruppe 16 auf, fragen, was der Hurensohn wolle und merken an, Handys würden zu Bruch gehen, wenn die Fotofunktion betätigt würde. Gruppe 57 bewegt sich agitiert auf die Jungspunde zu, unklarer Klärungsbedarf. Dann Gerangel. Einer der ehrenwerten Herren holt aus, Gruppe 16 formiert sich, schubst, prügelt, die Altrocker recken Fäuste. Was eskalieren könnte, endet allzu abrupt, als ein junger Mann in Jogginghose zum beherzten Tritt ausholt, das Laub auf dem Boden nicht mit einberechnet und sodann in ganzer Länge zu Boden geht. Solidarität ist in diesen Stunden ein rares Gut, unter dem Gelächter sowohl der Gruppe 57 als auch seiner Freunde zieht Gruppe 16 düpiert ab. „Ehre genommen“, würde man im Internet sagen. Die Polizei kommt mit fünf Fahrzeugen und bleibt fünf Minuten.

Nach dem Gin frei Haus ist vorm nächsten Getränk, die Weserstraße entlang ist Volksfeststimmung. Ganz Berlin genießt den last Day of Summer, die Bars voller als ihre Kontaktlisten, die Straßen gleichermaßen. Ein paar Lokale weiter wird Englisch gefragt, wo heute Partys stattfinden, spanischer Akzent. Hauspartys auch ok. Sie suchen wohl noch ihren Tanz in den Mai. Unklar, ob der Blick flehentlich oder ginbedingt glasig ist. Die Red Flags sind mittlerweile so zahlreich, die Straßenbeleuchtung wirkt selbst in den entlegeneren Ecken der Weserstraße farbig.

Es wird kurz noch überlegt, ob daheim ein Sekt entkorkt werden soll, ganz intim, im eigenen Cluster, ohne die feierwütige Reisegruppe. Vielleicht morgen. Auf dem Heimweg hebt ein junger Herr in Badelatschen, kurzer Hose und Rippchenleiberl Geld ab, seine weibliche Begleitung kontrastiert ihn in Winterkleidung. Ein umgestürztes Dixiklo versperrt halb die Haustür, die Isolation kann nun wahrlich kommen.