Lit. Herbst #5 Versunken in Gedanken und im Internet

Wie bringt man das Digitale aufs Papier? Wie schenkt man dem Banalen den gebührenden Raum, den es in unseren Leben einnimmt? In seinem Debütroman “Park” lässt Marius Goldhorn tief in die Gedankenwelt seines Protagonisten Arnold blicken. Erschreckend ehrlich, empathisch und ungeschönt.

Park von Marius Goldhorn, 2020 edition Suhrkamp, Berlin
Marius Goldhorn, Park
© Suhrkamp Verlag, Berlin 2020

Im Moment bleiben. Das fällt Arnold schwer. Konstant denkt der von Ängsten geplagte Mittzwanziger nach. Wäre er ein Freund, würde man ihm ein Meditationsbuch empfehlen. Oder Achtsamkeitsübungen. Seit Monaten hängt er mehr im Internet ab als sonstwo. Genauer gesagt, seit Odile für ihren Studienplatz nach London gezogen ist. In Berlin führten die beiden eine Beziehung mit Ablaufdatum, deren Ende den Protagonisten in ein tiefes Loch zog.

Viele Gedanken Arnolds drehen sich seither um Odile. Er ist vernarrt in die Vorstellung von ihr. Die spontane Filmemacherin, die er zuvor auf einer Hausparty getroffen hat. Nach einigen ausgetauschten E-Mails verabredeten sich die beiden und verbrachten sechs Monate als Paar, bevor Odile Berlin verließ und der Kontakt der beiden rapide abnahm. Nun versinkt der stille Arnold immer weiter im Digitalen – und kann sich das auch leisten, denn er hat “genug Geld, um nichts zu tun”.

Zwar trifft er mal seinen Freund Veysel in einem Berliner Park, doch selbst dann sind seine Gedanken stets woanders: bei Odile, bei Aliens, bei Wikipedia-Artikeln – eigentlich überall, nur nicht an dem Ort, an dem er sich physisch aufhält. Bis Odile Arnold Monate nach deren Abschied in einer Kurznachricht fragt, ob er ihr bei einem Dreh in Athen helfen kann.

Er sagt zu. Fliegt mit kurzem Zwischenstopp in Paris in die griechische Hauptstadt. Doch wohin Arnold auch geht, richtig dort ist er nicht. Die meiste Zeit verbringt er vertieft in sein iPhone oder MacBook. Ist er so müde von der Welt? Obwohl er nicht mit ihr interagiert, beobachtet Arnold detailliert seine Umgebung. Hierfür findet Autor Marius Goldhorn ebenso die richtigen Worte wie für die Gefühlswelt des Protagonisten.

Eine reizüberflutende Innensicht

Und durch diesen tiefen, ungefilterten, reizüberflutenden Einblick lernt man den Protagonisten kennen. Dabei scheint es unwichtig, wie Arnold aussieht. Es zählt, was er denkt. Ein Glück, dass Goldhorn alle Gedanken und Taten seines Protagonisten ungeschönt teilt: Immer wieder öffnet (und schließt) Arnold den Chat mit Odile, malt mit seinem Fahrrad Dinos auf Google Maps, schickt sich selbst Mails.

Sympathisch zeichnet er seinen Protagonisten nicht immer, wie vor und beim ersten Date mit Odile deutlich wird: “Notizen ließ er absichtlich liegen, den Aschenbecher leerte er zur Hälfte”, schreibt er, als Arnold vor dem ersten Besuch Odiles seine Wohnung inszeniert. Als Odile bei ihm war, “erzählte [er] seine fiktiv angereicherte Biografie”, log folglich. Sobald die Filmemacherin Berlin verließ, nahm der Kontakt der beiden ab. Die zwischenmenschliche Beziehung, die sich für Arnold nun auf das Lesen alter Chatverläufe und das Googeln von Odile reduziert, konstruiert Goldhorn gekonnt.

„Park“ ist beruhigend und beängstigend zugleich

Auch fällt auf, wie geschickt Goldhorn die digitale Welt mit der analogen verwebt. “Zwischen Plattenbauten versuchte Arnold dreimal, Odiles E-Mail-Passwort zu erraten”, schreibt Goldhorn und charakterisiert dabei sogar direkt den Protagonisten mit, der von der Illusion der Beziehung zu Odile besessen scheint.

Park ist somit beruhigend und beängstigend zugleich. Man erkennt sich in Situationen und Gedankengängen wieder, die man nicht gerne an die Oberfläche treten lassen will: alte Chatverläufe lesen, Mails nicht abschicken, andere googeln statt mit ihnen zu sprechen.

So passt der Roman nicht nur in eine Zeit der Isolation, sondern allgemein in einen digitalen Zeitgeist. Goldhorn gelingt es, Gesellschaftsbeobachtungen durch Arnold in vermeintlich banalen Sätzen unterzubringen, ohne dabei anklagend zu wirken. „Er dachte daran, dass Datensammlungen inzwischen viel mehr wert waren als materieller Besitz. Flugtickets im iPhone-Wallet, Routen in Hiking-Apps, Fotos in der Cloud.“

Ein roter Faden trotz asynchroner Erzählweise

Auf 179 Seiten besticht Goldhorns realitätsnaher, fiktiver Debütroman mit einer Vielfalt an Formen: Gedichte, geschrieben auf Arnolds MacBook, Chats, Gespräche, szenische Beschreibungen sowie Aufzählungen von Wikipedia-Artikeln und Ted-Talks verdichten sich zu einem Gesamtbild. Und trotz asynchroner Erzählweise zieht sich, durch den Fokus auf den Protagonisten, ein roter Faden durch die Geschichte.

Goldhorn hat ein, trotz Zeitsprüngen, stringentes Werk komponiert. Eine Momentaufnahme einer Gegenwart, die mehr im Digitalen als im Analogen stattfindet. Eine, die so überladen ist, dass selbst der Protagonist nicht mehr weiß, was banal und was wichtig ist, weil alles auf ihn einprasselt – genau wie auf die Leser*innen.

Übrigens: Laut seiner Website mariusgoldhorn.de heißt der Autor mit zweitem Namen wie sein Protagonist – Arnold. Schon bevor man auf diese Info stößt, könnte man annehmen, dass Goldhorn autobiographische Fetzen mit seinen Leser*innen teilt. Schlichtweg, weil sich der reservierte Protagonist, der so wenig sagt und so viel denkt, sich so nahbar anfühlt. Der Roman ist in seiner Widersprüchlichkeit und Gleichzeitigkeit überraschend stimmig.

Marius Goldhorn: Park, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020