Um sechs Ecken geflogen – Die TXL-Architektur

Über einen Monat ist es jetzt her, dass die letzte Maschine den City-Airport im Nordosten Berlins verlassen hat. Nachdem Flugzeuge, Vorfeldfahrzeuge, Passagiere und Personal an den Flughafen Berlin-Brandenburg umgezogen sind und die TXL-Terminals leer stehen, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um die besondere Siebzigerjahre-Architektur noch einmal in Augenschein zu nehmen. Was nach fast 40 Jahren Luftfahrtgeschichte bleibt, sind nicht nur Erinnerungen an das einstige Tor Berlins zur Welt, sondern, wenn vielleicht auch nur inoffiziell, ein Wahrzeichen der Stadt. 

Wenn ich bis noch vor Kurzem zum Flughafen Tegel fuhr und auf den letzten Metern vom Saatwinkler Damm auf die Brücke über den Hohenzollernkanal einbog, durch die Rollbahnunterführung hindurch, kamen jedes Mal auf der Rückbank des Taxis dieselben Gedanken auf. Sobald Terminal B und der Tower in ihrer ganzen, grau-beigen Pracht zum Vorschein traten, fragte ich mich: “Um Gottes Willen, warum ist unser Flughafen so hässlich? Was sollen denn die Touristen denken, die hier ankommen? Bestimmt fragen die sich, ob die ganze Stadt so aussieht wie dieser Flughafen.”

Auch ein blauer Himmel konnte über Tegels beigen-grauen
ersten Eindruck nie hinwegtäuschen. Fotos: Victor Marquardt

Jetzt, nachdem Tegel dicht ist, finden viele die Architektur gar nicht mehr so hässlich und empfinden sogar Wehmut, denn es war ja letzten Endes unser Hauptstadtflughafen, der Berlin jahrelang gute Dienste geleistet hat. “Flughafen der Herzen” wurde von einschlägigen Lokalmedien in den letzten Wochen des Betriebs frequentiert getitelt. 

Doch zurück zur Architektur. Das besondere an Tegel waren neben seinen kurzen Wegen das sechseckige Hauptterminal A. Entworfen von den Architekten Meinhard van Gerkan und Volkwin Marg, ist es ein Symbol der Siebzigerjahre-Architektur.

Die sechseckige Grundform des Terminals ist nicht nur das häufig stilisierte Erkennungszeichen Flughafens, diese Form findet sich auch in sämtlichen Gebäudeteilen und in der Inneneinrichtung wieder. Aus dem Sechseck wird Beispielsweise bei den Strahlträgerkonstruktionen, die das Glasdach des Terminals stützen, ein Dreieck. Es ist erkennbar, dass bei der Architektur trigonale und hexagonale geometrische Formen wiederkehrende Gestaltungselemente sind. Eine Besonderheit stellen die abgerundeten Ecken und Kanten dar. Schilder, Fenster, Türen und Inventar sind stets so entworfen, dass es keine scharfen Kanten gibt.

Das Terminal B: auch hier sind die geometrischen Formen in der
Architektur erkennbar. Foto: Victor Marquardt

Von der Eröffnung 1974 bis zur Schließung im November dieses Jahres hat sich der Gebrauch von knalligen Farben etwas gelegt. So waren die Check-In-Schalter bis in die Neunzigerjahre in einem ockergelb gehalten. Auch Türen und Fensterrahmen sowie Kofferbänder waren farblich deutlich auffälliger gestaltet als in den letzten 20 Jahren des Betriebs. Zum Zeitpunkt der Schließung waren die dominierenden Farben silber, grau und dunkelrot. Die klaren geometrischen Formen aber blieben bestehen und sind ein wichtiges Erkennungsmerkmal des Flughafens.

Neben seiner Symbolkraft für gelungene Siebzigerjahre-Architektur in Berlin läutete der Flughafen Tegel auch eine ganz neue Ära von effizienter Passagierabfertigung ein. Vom Taxi direkt ins Flugzeug: So oder so ähnlich hatte man es sich vorgestellt. Die Gates waren im sechseckigen Terminal so angeordnet, dass die Passagiere direkt bis zum Check-in-Schalter vorfahren konnten, um ihren Koffer abzugeben, ihre Bordkarte zu erhalten und dann unmittelbar neben dem Schalter durch die Sicherheitskontrolle hindurch zum Flugzeug zu gelangen. Zum Zeitpunkt der Eröffnung 1974 war diese Art der Passagierabfertigung weltweit einzigartig.

Die gelben Hinweisschilder: ein TXL-Erkennungszeichen Foto: Victor Marquardt

In den Siebzigern einer der modernsten Flughäfen der Welt und architektonisch mehr als einzigartig, waren die kurzen Wege in Tegel ein Grund für die große Beliebtheit bei den Fluggästen. Ich kann mich erinnern, dass – seit ich bewusst von Tegel abflog – weder ich selbst noch andere Reisende sonderlich im Stress waren. Tegel war dank seines Konzeptes der kurzen Wege für Passagiere ein (relativ) stressfreier Flughafen. Alle Abläufe, von der Anreise über den Check-in bis zum Start des Flugzeugs, waren entspannt. Anders als man es von anderen Flughäfen kannte. Während man an den großen europäischen Luftfahrtdrehkreuzen oftmals kilometerweit durch Einkaufspassagen hetzen muss, um seinen Flug zu erreichen, waren es in Tegels Terminal A lediglich 20 Meter vom Check-in bis zum Gate. Und auch andersherum, aus dem Flugzeug heraus, über die Gepäckabholung, nach draußen zum Taxi, waren es nur einige Meter.

Dass dieses Konzept des stressfreien Reisens auf kurzen Wegen aber nur mit der geringen Anzahl an Passagieren in den Siebziger-, Achtziger- und eventuell auch noch Neunzigerjahren funktionieren konnte, war spätestens klar, seitdem sich in den Erweiterungsbauten Terminal D und C häufig dramatische Szenen am Check-in, in der Sicherheitskontrolle und beim Boarding abspielten. Dies war der völligen Überlastung des Flughafens geschuldet. Auch das Konzept im Terminal A mit jeweils einer Sicherheitskontrolle an jedem einzelnen Gate war schon allein personaltechnisch eine nahezu unmögliche Herausforderung. Passagierschlangen so weit das Auge reichte.

Wer wie ich viel von Tegel flog, war auch an die äußerst antiquiert anmutende technische Verfassung des Flughafens gewöhnt. Wer nicht so oft nach Tegel kam und sonst immer Flughafenstandards aus Frankfurt, London oder Amsterdam kannte, fragte sich sicher, wie denn so ein alter Flughafen immer noch funktionieren kann. Uralte Kofferbänder, die unter der Gepäcklast ächzten und quietschten, und man immer dachte, dass sie bestimmt gleich auseinanderfallen. Check-in-Schalter, die aussahen wie aus einem Retro-Bauhaus-Kunst-Katalog, senfgelbe Schilder, und rot-braune Fluggastbrücken, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten und bei denen ich mich jedes Mal beim stundenlangen Warten auf die Koffer fragte, wann die jemals schick gewesen sein sollen.

Alles Eckige ist rund: auch bei der Gepäckausgabe. Foto: Victor Marquardt

Aber genau das machte Tegel, zu dem Flughafen der Herzen, der er war. Eine olle Rumpelbude, die nach über 40 Jahren Betrieb irgendwann das Achtfache des Passagieraufkommens abgefertigte, für das er eigentlich ausgelegt war. Der Flughafen Tegel sah 2019 fast 25 Millionen Fluggäste starten und landen. Geplant war er für etwa 3 Millionen. Diese Leistung, in solch einem alten Kleid so lange durchzuhalten, ist höchst beeindruckend. Jetzt ist TXL Geschichte. Ein Flughafen ist in den wohlverdienten Ruhestand gegangen und hat es verdient, dass man sich noch lange an sein besonderes Antlitz erinnert.

Wer oder was auch immer in den Terminals ein neues Zuhause finden wird, den verschlissenen Glanz der wilden Siebziger bekommt man aus diesem Traum von Beton und Plaste sicher nicht mehr raus.