24. December 2020
Wohnungswut Berlin!
Wenn die Rede vom Berliner Wohnungsmarkt ist, fallen oft Worte wie “hart” oder “umkämpft”. Die Realität sei aber noch viel schlimmer, meint unsere Autorin. Sie ist aktuell auf Wohnungssuche in der Hauptstadt und berichtet hier von unfairen Castings, kriminellen Angeboten und der eigenen Wohnungswut.

Ein neues Zuhause in Berlin zu finden ist nicht leicht. Das wusste ich natürlich, als ich anfing, in meiner Heimatstadt Berlin nach Wohnungen zu suchen. Ich kannte all die Geschichten von Massenbesichtigungen, bei denen die Bewerber um drei Häuserblocks anstehen. Szenen, in denen Hunderter-Scheinchen gewechselt werden – um bessere Chancen zu haben. Den Umstand, sich finanziell und persönlich komplett nackt machen zu müssen – Rechenschaft über Lebensverhältnisse, Ausbildung, Job und Kinderwunsch abgeben zu müssen. Das Ausmaß der Dreistigkeit, das mir auf dem Berliner Wohnungsmarkt dann aber tatsächlich begegnet ist, macht mich wütend. Denn der Berliner Wohnungsmarkt ist nicht einfach nur “hart” oder “umkämpft”. Er bringt in Menschen ihre schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein: Er ist oberflächlich, hinterrücks, arrogant, hämisch und kriminell – aber dazu später.
Das Angebot auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist verheerend
Denn das Angebot auf dem Markt ist an sich schon verheerend: Der Bestand an Wohnungen wächst langsamer als die Bevölkerung, die Mieten steigen schneller als die Einkommen. Mietpreisbremse und Mietendeckel haben daran leider nichts geändert. So zahlen Berlinerinnen und Berliner laut einem Tagesspiegelbericht heute durchschnittlich 28,2 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens fürs Wohnen. Obwohl ein Quadratmeter heute im Durchschnitt 10,45 Euro kosten soll, liegen die meisten Angebote in der Realität bei unsittlichen 30. Der illegale Markt boomt. Das zeigt nicht zuletzt das riesige Angebot an dubiosen Wohnungsvermittlern, die auf bekannten Internetportalen Bargeld-Prämien für Wohnungen entgegennehmen. Denn seit Einführung des Berliner Mietendeckels hat sich auf dem seriösen Markt, etwa beim größten Online-Vermittler Immoscout, das Angebot von Mietwohnungen zusätzlich halbiert. Eigentümer lassen ihre Wohnung wegen der unsicheren Rechtslage lieber leer stehen und spekulieren darauf, dass der Deckel vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird.
Aber immerhin: Manchmal klappt es mit den Angeboten dann eben doch. So kam es, dass ich mich im Oktober in einem beliebten Schöneberger Szenekiez mit weiteren circa 60 Menschen in einer Besichtigungsschlange wiederfand. Ich weiß noch, wie ich am Telefon – vollkommen naiv – den Hausverwalter fragte, ob dies auch wirklich die einzige Besichtigungsmöglichkeit sei. “Ja, das ist definitiv der einzige Termin”, lachte dieser hämisch zurück. An diesem Tag jedoch erschien er nicht – gar nicht, ohne Absage oder jegliche Information. Die Schlange, die sich mittlerweile auf circa 100 Bewerber verlängert hatte, wurde zunehmend unruhig. War das ein Test, wie sehr man die Wohnung wirklich wollte? Für mich war es pure Arroganz. Meine armen Mitbewerber, vielleicht stehen sie noch heute da. Ich jedenfalls trat nach einer Stunde desillusioniert den Rückzug an.
Balkon mit Spreeblick
Doch meine Glückssträhne hielt an – der nächste Besichtigungstermin flatterte ins Postfach: Moabit, Balkon, Spreeblick, keine Massenbesichtigung! Die Eigentümer: ein Juristen-Paar – Jackpot!, dachte ich. Für den Termin schlüpfte ich in mein bestes Jura-Kostüm: schwarzer Bleistiftrock, dunkler Kaschmir-Pullover, malte mir rote Lippen, drehte mir Locken, parfümierte mich mit Yves Saint Laurent No. 1 – wovon mir beinahe schlecht wurde. Aber egal, denn diese Wohnung wollte ich unbedingt!
Das Juristen-Paar schien das Casting sichtlich zu genießen. So wurden nicht nur die Räumlichkeiten gezeigt, sondern auch auf Verhaltensregeln und Sachwerte hingewiesen: “Hier müssen Sie dann einen Teppich hinlegen. Das verträgt der Boden sonst nicht. Wenn der kaputt geht, sag ich Ihnen, das kann einen in den Ruin treiben.” Teppich, ist notiert. “Und da drüben, das ist eine Spezialanfertigung, die wollen Sie besser nicht anfassen, das hat über 20.000 Euro gekostet.” Verstanden, nichts anfassen. Auf Samtpfoten schleiche ich durch die Zimmer, trete auf den Balkon.
“Der Balkon ist im Sommer das zweite Wohnzimmer, kann ich Ihnen sagen, er hat die Besonderheit, dass er überhaupt KEINE Sonne abkriegt. Dafür spiegelt die Sonne so schön in der gegenüberliegenden Häuserwand.” Ach ja, schön. “Ach, und die Nebenkosten in diesem Haus sind leider sehr hoch – was verdienen Sie nochmal?” Ich höre mich faseln: irgendwas mit Jura, eigentlich gute Jobaussichten, jetzt Journalismus ja, aber jedenfalls mein Vater ist auch Jurist, der kann sonst bürgen. Die Eigentümerin mit verzogener Schnute: “Gut, wir werden eine weitere Vorauswahl treffen und die besten Kandidaten noch einmal zum Kaffee treffen.” Ich lächle gequält, bedanke und verabschiede mich – endgültig. War das vielleicht nur ein Schwiegertochter-Casting?
“Altstadt-Oasen” und Bestechungsversuche
Die nächsten Wochen der Suche werden ruhiger. Der “Lockdown-Light” wird zum “Wohnungslockdown-Extreme”. Einziges Highlight: Der Elevator-Pitch mit “Altstadt-Oase – Anzeige von privat”. “Ja dann sagen Sie mir doch einfach kurz in ein paar Sätzen, wer Sie sind, was Sie so machen und warum ausgerechnet SIE für die Wohnung geeignet sind.” Ich pitche, was das Zeug hält – vergebens. Jeden weiteren Freitag pünktlich um 19.30 Uhr erscheint die “Altstadt-Oase” erneut in der Wohnungssuche: Gleiche Masche, gleiches Spiel. Zeit müsste man haben. Weitaus mysteriöser ist eine Anzeige, in der ich aufgefordert werde, vorab schon mal unbedingt meinen Personalausweis in Hochauflösung hochzuladen und auch meine Kontodaten zu schicken. Kriminell – ich sag‘s ja.
Unlauter lief auch eine Wohnungsbesichtigung in Prenzlauer Berg ab. Ein anderes Bewerber-Paar ist gerade fertig – man grüßt sich gezwungen. In der Wohnung wartet eine gestylte Blondine mit strengem Zopf, Lederrock, Bluse, schwarzer Hornbrille und manikürten Fingernägeln. Mist, diesmal hatte ich auf meine Verkleidung verzichtet. “Hmm und wo wohnen Sie derzeit?”, werde ich gefragt und von oben bis unten gemustert. Ich stammle: “Eh also ich Neukölln, beziehungsweise wir Moabit, also noch getrennt, also räumlich, hihi, naja jedenfalls Mitte, ja Mitte könnte man sagen!”
Draußen, vor dem Hauseingang der schönen bezahlbaren Altbauwohnung, lungert noch immer das Paar von vorhin. An eine Hauswand gelehnt, füllen sie ein Papier aus – oder schreiben die einen Brief? Sie stecken etwas in einen Umschlag, grüne Scheinchen? Stopfen ihn dann hastig und ertappt zurück in die Jackeninnentasche und simulieren eine Unterhaltung. Ihre eindringlichen Blicke sagen: “Räumt jetzt endlich das Feld.” Schließlich täuschen sie den Rückzug vor, laufen ein paar Meter, rennen in den nächstgelegenen Hauseingang, wo sie sich verstecken. Ernsthaft?
Wie zwei kleine Mäuschen huschen sie hin und wieder aus ihrem Versteck, lungern vor der Wohnung, besprechen sich erneut, diskutieren. Schließlich drehen sie Richtung Alexanderplatz ab – noch immer unentschlossen: alle zwei, drei Meter bleiben sie stehen, drehen sich um. Doch noch mal zurückgehen? Aber nein, der Entschluss scheint zu stehen, heute werden sie es nicht mehr versuchen. Bestechung verhindert – meine Mission ist für diesen Tag beendet. Gegen Ende der Woche meldet sich die Hausverwalterin. “Leider hat es diesmal für Sie nicht geklappt, wir hatten einfach zu viele Bewerber.” Wer hätte das gedacht.
Unsere Autorin ist noch immer auf Wohnungssuche in Berlin und möchte deshalb anonym bleiben. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.