31. December 2020
Ben-Robin Königdie Type: Alles Käse
Sailor Moon, R2-D2 oder die Tigerente – es gibt Figuren der (Pop)Kultur, die uns besonders geprägt haben – und auch heute noch Idole sind. Unsere Textkategorie “die Type” ist die Ahnengalerie von Praxis. Hier sammelt sich, wer Einfluss hat und hatte: Held*innen des Alltags und Lieblingsbösewichte. Egal, ob aus Film, Serie, Buch, Comic oder Hörspiel. Wir zeigen, welche Fiktionen uns gefärbt haben und warum.

Ein Käseabend. Wer hätte gedacht, dass der Verzehr von festen Milchprodukten einmal derart verbreitete Kulturpraxis würde? Was für viele eine Selbstverständlichkeit ist, mag denjenigen, deren Kinderstube von den Comic-Abenteuern um den Frühfranzosen Asterix begleitet war, oft allzu abstrakt vorkommen.
Die Geschichte ist eigentlich schnell erklärt: Ganz Frankreich ward von militant-vegetarischen Käse-Connaisseuren besetzt. Ganz Frankreich? Nein, ein kleines Dorf unbeugsamer Omnivoren gebietet dem Diktat französischer Küche Einhalt und schlemmt weiterhin unentwegt Fleischberge, vorzugsweise Wildschwein. Die üppigen Bankette kennen unterschiedlichste Ausprägungen dieser Leibspeise: klassisch gebraten über offenem Feuer, in Weinsauce, gegart in Pfefferminzsauce (diese kulturlosen Briten!), mit Lorbeer verfeinert … Dazu Klassiker von der Metzgertheke – Hartwurst, Blutwurst, Leberpastete, Schweinskaldaunen (mit Honig!). Selbst als die Gallier zu einer kulinarischen Tour de France aufbrechen, besorgen sie zwar Pflaumen, sogenannte Backpfeifen, Meeresfrüchtesalat, Wein und Champagner-Vorläufer in Tonamphoren, Bouillabaisse und – natürlich, denn “ohne Fleisch kein Preisch” – Lyoner Wurstwaren und Fleischballen. Von Käse indes fehlt jede Spur.
Böse Zungen könnten behaupten, das Duo aus Zeichner Uderzo und Texter Goscinny bestünde aus Barbaren, die zwar popkulturell versierte Querverweise auf die Moderne unterbringen, Bier und Schweinshaxe aber jederzeit französischer Esskultur vorzögen. Käse, das lehrt die Lektüre der gallischen Krieger, ist etwas zutiefst suspektes.
Wenn der Häuptling Majestix auf dem Weg zur Kur Höllenqualen durchleidet, dann liegt das nicht an seiner Fleischeslust, nicht am Soßenüberfluss. Schuldig scheint der Käse – “schließt den Magen”– der eben jenen Magen vollends krampfen lässt. Schweizer Käse, vorlieb geschmolzen, ist Synonym für abseitige Auswüchse. Das klassische Fondue ist in der Welt der Gallier Schauplatz wilder Orgien. Was anderswo gern mit Leder und Latex assoziiert wird, ist hier die hautenge Schicht aus Käsefäden, wer sein Brot im Kessel verliert, dem blühen Rohrstock und Peitsche bis hin zu Mafiamethoden, den berüchtigten Schwimmsessions mit Gewichten an den Füßen.
Und dann ist da noch Korsika. Was ein Land, was eine Insel! Hier schmeckt das Salzwasser nach Langusten, hier riecht der Sand wie kein anderer, hier ist die Wurst – was sonst – so frisch, dass man den Esel noch schreien hört! Und erst dieser Käse: Ein “hauchzarter Duft nach Thymian und Mandeln, Feigen und Kastanien, dieser Hauch von Kiefer, diese leichte Andeutung von Beifuß, diese Ahnung von Rosmarin und Lavendel …” Das hört sich so lieblich und schmackhaft an, wie es Fluchtreflexe bei den beschnurrbarteten Franzmännern hervorruft. Und letztlich anscheinend so beißend duftet, dass der Kontakt eines Laib Käse samt seiner Ausdünstungen mit offener Flamme ganze Schiffe in die Luft zu sprengen vermag.
Welches Kind würde da noch dem Käse Vorzug geben? Zum Glück gibt es die Unbekümmertheit des Obelix. Die Orientierung am Hinkelsteinphilanthropen kann helfen. Und siehe da: Bei ihm brauchte es vielleicht den Zaubertrank, bei uns Laktase. Und selbst der strengste Stinker hat seine Qualitäten, auch wenn es nur die Unterbringung in der Geschwisterbettritze ist. Und Fondue ist nicht automatisch eine Orgie. Niemals Comics vertrauen.
René Goscinny und Albert Uderzo: Asterix auf Korsika, Egmont Comic, 1975.