02. January 2021
Anna-Lena SchlittPunk-(T)räume
Fast 30 Jahre nach dem Manifest der wütenden Riot Grrrls ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme der Gegenwart, haben sich Jot Vetter und Barbara Lüdde gedacht und gemeinsam mit 35 Menschen, die Punk lieben und leben, ein Buch herausgebracht: “Our Piece of Punk. Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen”. Ein Gespräch mit den Herausgeber*innen.

Was heißt Punk für euch?
Barbara: Punk ist für mich der Versuch, einen Freiraum zu schaffen, der jenseits der Mehrheitsgesellschaft funktioniert. Die Realität sieht leider überhaupt nicht so aus – da geht es meistens nur um Musik und Saufen. Deshalb ist das eher die Idealvorstellung davon, was Punk sein könnte.
Jot: Das, und ein bisschen drauf scheißen, was andere denken. Einfach machen. Das sind für mich die Basics von Punk.
Welche Rolle spielt Punk in eurem Leben?
Barbara: Das, was Jot gesagt hat, ist einer der wenigen Bestandteile, die mit meinem jetzigen Leben zu tun haben. Jenseits unserer Lesungen und Räumen, in denen ich mich bewege, gehe ich kaum auf Punkkonzerte.
Jot: Du hast auf jeden Fall noch Punk im Herzen! Ich gehe sehr gerne auf Konzerte und ich spiele auch in einer Band. Ein wichtiger Teil meines Alltags ist, dass ich mich in diesen Räumen aufhalten kann, dass ich da Leute treffen kann, die ich mag.
Wie seid ihr beide zum Punk gekommen?
Barbara: Ich bin in der DDR geboren und zwei Häuser weiter war ein besetztes Haus. Im Erdgeschoss hatten Die roten Nelken einen kleinen Proberaum. Ich weiß noch genau, dass ich, als die geprobt haben, in diesen Raum geguckt habe. Da war auch eine Frau in der Band. Das war auf jeden Fall eine prägende Erfahrung.
Jot: Ich habe ein bisschen meiner großen Schwester nachgeeifert, die schon relativ früh mit Nietenjacke unterwegs war und Häuser besetzt hat. Das war damals noch gar nicht so fest mit Musik verbunden, sondern mehr mit der Ästhetik und auch so ein bisschen Nihilismus und scheiß auf alles und no future. Erst später, als Queer in meinem Leben fassbarer wurde, und ich das zusammengebracht habe – auch mit Riot Grrrl – habe ich einen neuen Einstieg in Punk gefunden: Über Musik und Selbstermächtigung.
Die Riot Grrrls kämpften für Gleichberechtigung und Freiräume von Frauen* in Punkszenen. Sind ihre Forderungen eingelöst worden?
Jot: Teilweise schon. Es sind auf jeden Fall neue Räume erschlossen worden. Ich habe das Gefühl, konstant von queer_feministischen Punkbands umgeben zu sein. Das ist ein großer Unterschied zu vor 20 Jahren, aber natürlich auch eine subjektive Wahrnehmung.
Was kann denn noch passieren?
Jot: Punk ist – wie die Gesamtgesellschaft – männlich und weiß dominiert. Mittlerweile sage ich aber nicht mehr: “Punk ist weiß und männlich”, denn das stimmt nicht und ich mache dadurch Menschen unsichtbar. Es sind auf jeden Fall auch andere Menschen im Punk. Ich glaube, es ist wichtig, dass all die Leute, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, sich verbünden und es anderen ermöglichen, mitzumachen. Ich will natürlich auch, dass sich die Leute, die im Punk in Entscheidungspositionen sind, überlegen, wie sie andere involvieren können.
Wie erlebt ihr Punk heute?
Barbara: Das ist so eine Art Subkultur, eine geschlossene Gruppe. Man muss bestimmte Codes erfüllen, um da reinzupassen. Ich erfahre von vielen Freund_innen, dass sie Probleme haben, auf Veranstaltungen zu gehen, weil sie da nicht direkt mit offenen Armen aufgenommen werden.
Wie meinst du das?
Barbara: Einmal hat mir eine Freundin erzählt, dass sie in einem Autonomen Zentrum auf ein Konzert gegangen ist. Sie hatte einen Minirock an und wurde einfach blöd angeschaut. Sie hat sich nicht wohl gefühlt, weil sie das Gefühl hatte, nicht dem Kleidungskodex zu entsprechen. Das ist einfach schade.
Ist das eine Art von Exklusivität der Punkszene?
Barbara: Das ist kein strukturell subkulturelles Phänomen. Das Problem ist eher, dass Menschen schnell kategorisieren und in Schubladen stecken. Das ist genauso, wenn du als Crust-Punk …
Jot: … ins Ballett gehst.
Barbara: Dann wirst du auch komisch angeguckt. Eigentlich passiert dir das überall. Es ist nur schade, dass es gerade da, wo Punk der Freiraum sein müsste, in dem so etwas nicht passiert, genauso passiert, wie in der Gesamtgesellschaft.
Ist das etwas, was ihr euch für die Zukunft wünscht?
Jot: Ich will eigentlich keine Ansprüche an Punk stellen. Ich würde mich freuen, wenn Menschen insgesamt weniger Vorurteile hätten und weniger Zuschreibungen machen würden.
Barbara: Ich weiß nicht, es gibt ja keinen Endzustand, kein Ziel. Es ist eher eine fluide Sache, eine Bewegung, die sich immer weiter verändert.
Jot: Mariam Bastani hat mal gesagt, dass Punk nicht tot ist, weil er sich weiterhin verändert. Also weitermachen, würde ich sagen!
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Magazin “BE LONGING”, das im Rahmen des Mentorenprintprojekts im Wintersemester 2019/20 unter Leitung von Wolf Kampmann von den Studierenden des Jahrgangs 17 produziert wurde. Das gesamte Heft gibt es als PDF auf der Seite des Studiengangs.