Heute nicht Siegfried – über Heldinnenreisen

Die Tage sind kurz, draußen ist es kalt. Und wer zuhause bleibt, tut seinen Mitmenschen dank Pandemie auch noch einen Gefallen. Wer im ersten Lockdown noch neue Sprachen und Brotbacken gelernt hat, fläzt spätestens jetzt auf dem Sofa. Aber womit soll man die sonnenlosen Stunden füllen? Unsere Autorin stellt drei fantastische Zeichentrickserien vor, die eigentlich für junge Menschen konzipiert wurden, aber auch nach der Pubertät noch lehrreich sind.

Manchmal muss es einfach bunt sein – egal, wie alt man ist. Foto: Luis Aguila/Unsplash

Heldinnenreisen sind kulturelle Urgesteine: ein Mangel in der Welt, der Ruf nach heroischen Taten, die Verweigerung der Heldin, dann die Überzeugung durch eine Mentorin, Bewährungsproben, Verbündete finden, die Konfrontation mit der anderen Seite, der Gewinn einer Erkenntnis und dadurch das persönliche Wachstum der Protagonistin, die bei ihrer Rückkehr Anerkennung erfährt. Odysseus, Sindbad, Luke Skywalker – alles Heldenreisende par excellence. Wir Normalsterblichen finden uns und unsere Probleme in den mythischen Parallelwelten wieder, lernen daraus und wachsen ebenfalls. Kein Wunder, dass vor allem Coming-Of-Age-Erzählungen derselben Logik folgen. Erwachsenwerden ist schließlich eine Reise, und wenn alles gut geht, ist man danach schlauer als vorher.

Tatsache ist auch, dass die meisten Heldinnenreisen heterosexuelle und männliche Protagonisten in den Mittelpunkt stellen. Das macht sie nicht obsolet, den Kanon in seiner Gesamtheit aber fade. Doch auch heute werden noch Geschichten geschrieben. Viele von ihnen machen diverse Lebensrealitäten sichtbar und die folgenden drei fantastischen Erzählungen sind auch nach der Pubertät noch einen Versuch wert.

Vorschlag 1 – Die Legende von Korra (2012, Netflix)

Korra wächst am Südpol auf. Isoliert von der Welt erlernt sie hier die Kontrolle über ihre Talente. Und Korra ist extrem talentiert. Sie ist stark, dickköpfig, empathisch und der wiedergeborene Avatar. Sprich, sie ist als einziger Mensch in der Lage, alle vier Elemente zu bändigen – Wasser, Feuer, Erde und Luft. Ihr Auftrag: Balance bewahren und Harmonie schaffen. Was für eine Aufgabe! Korra ist Erbin und direkte Nachfolgerin Aangs, der den hundertjährigen Krieg beendete – also immens erfolgreich war mit der ganzen Harmonisierungssache. Der Erwartungshorizont ist dementsprechend erdrückend für Korra. Als Teenagerin kommt sie in die Hauptstadt der Vereinten Nationen und weiß – dank jahrelanger Isolation – so überhaupt nichts über die Welt und die Herausforderungen, die ein urbanisiertes Leben mit sich bringt. Überfordert mit Pubertier-Hormonen und überrascht von politischen Unruhen stolpert sie durch die Großstadt. Selbstzweifel, die schnell zu einer Wut über die eigene Unvollkommenheit wachsen, sind da nicht überraschend. Korra muss lernen, ihre eigenen Schwächen zu akzeptieren und Ängste zuzulassen, um wachsen zu können. Erst durch die Aufgabe von Kontrolle beginnt sie ihr eigentliches Potential zu entfalten. In vier feinfühlig konzipierten Staffeln lernt Korra nicht nur die Welt, sondern vor allem sich selbst kennen – und lieben. Zusammen mit Freund*innen stellt sie sich Verlust, Angst, Herzschmerz, körperlichen Traumata, Tod und Egoismus. So schafft sie Empathie auch für vermeintliche Bösewichte und verändert durch das Eingestehen eigener Fehler die Welt wie kaum ein Avatar vor ihr.

Von Korra lernen wir, dass wir Erwartungen anderer nicht entsprechen müssen. Stattdessen ist das Verstehen eigener Bedürfnisse und Talente ein Weg zum Glück – unter der Voraussetzung, dass wir auch anderen dasselbe Verständnis entgegenbringen. Wer sich selbst kennt, kann auch mit anderen besser.

Vorschlag 2 – Kipo und die Welt der Wundermonster (2020, Netflix)

Kipo lebt in einer verrückten Welt. Irgendetwas scheint in der nahen Zukunft ziemlich schief gegangen zu sein, so dass die Mehrzahl der Menschen unterirdisch in gut organisierten Höhlen hausen, während die Oberfläche von Mutationen beherrscht wird: Mafia-Frösche in maßgeschneiderten Anzügen, Mega-Bunnies mit acht Ohren und grellleuchtende Disko-Wespen sind nur ein paar Highlights der allerersten Folge. Man kann Kipos panische Angst also verstehen, als ein Unfall sie aus ihrem Zuhause nach oben spült. Ein Rückweg? Erstmal nicht in Sicht. Hilfe? Kipo ist allein. Oder raschelt da hinten etwas?

Glücklicherweise ist Kipo extrem schlau für ihre 13 Jahre und hat einen unüberwindbaren Enthusiasmus im Gepäck. Sie findet also schnell Freund*innen in einer Welt, in der sprechende Tiere Menschen prinzipiell kritisch gegenüberstehen. (Man kann es ihnen nicht wirklich übel nehmen nach all den Tierversuchen und Massenhaltungen der Vergangenheit.) Dank ausgezeichneter Schulausbildung und einem Wissenschaftler als Vater kann Kipo technische Manipulationen erkennen und Sternbilder erklären – denn natürlich träumt man als Höhlenkind vom klaren Sternenhimmel der Oberfläche. Jetzt schläft sie jede Nacht unter diesen funkelnden Sternen in den Ruinen einer Zivilisation, die sich ihr eigenes Grab geschaufelt hat.

Begleitet von und konfrontiert mit schrägen Figuren sucht Kipo ihr Zuhause und findet dabei sehr viel mehr. Nervtötend bezwingend ist dabei ihr Glaube an das Gute in jedem Wesen und erleichternd oft behält sie Recht. Mit der Kraft der Musik und aufrichtiger Kommunikation paddeln Kipo und ihre Freund*innen durch Abenteuer, die wie Drogentrips aussehen und von einem immer wieder überraschenden Soundtrack begleitet werden. Sie lernen dabei ihre eigenen Bedürfnisse und Potentiale kennen und freunden sich nebenbei mit einem ahornsirupsüchtigen Floh an.

Kipo und die Welt der Wundermonster zeigt, dass eine Mischung aus Neugier, Optimismus und Freund*innenschaft auch unter widrigen Umständen hilft. Das Seriendesign verrät, dass “je mehr, desto besser” immer noch unterhaltsam ist und zusammen mit Kipo müssen wir lernen, dass Überschätzung der eigenen Fähigkeiten auch gefährlich sein kann. – Ganz schön kompliziert dieses Erwachsenwerden.

Vorschlag 3 – She-Ra und die Rebellen-Prinzessinnen (2018, Netflix)

Manchmal sieht Etheria wie der feuchte Traum eines überzuckerten Kaugummis aus. Rosa. So viel rosa. Es glitzert und leuchtet auf dem Planeten, wo She-Ra und die Prinzess*innen-Allianz gegen die Besatzungsmacht der Horde kämpfen. Trotzdem ist She-Ra and the Princesses of Power eines der besten Serien-Reboots überhaupt. In den 80er-Jahren war die Heldin vor allem Schwester von He-Man und brannte absurde Körpernormen in Kinderhirne. Heute steht She-Ra für fünf Staffeln voller Diversität in Körperformen, Sexualität und Gender. Als von dieser Gesellschaft sozialisierte Menschen bedeutet das für die Zuschauenden ein fruchtbares Weiterbildungspotential.

She-Ra und ihre Verbündeten brechen mit Sehgewohnheiten und müssen auch ihre eigenen Annahmen immer wieder hinterfragen. Ihre Reise erzählt von Freund*innen, die den Glauben an ihre Mitmenschen nicht verlieren – egal, wie oft sie damit auf die Nase fallen. Und sie fallen viel. Währenddessen steht natürlich die Zukunft der gesamten Welt auf dem Spiel: geheimnisvolle Vergangenheiten werden ausgegraben und die Positionen einzelner Charaktere werden hingebungsvoll beleuchtet. Etheria und seine Bewohner*innen sind schließlich nicht schwarz-weiß, sondern bunt. So bunt.

Improvisation ist im Kampf gegen die Übermacht an der Tagesordnung, und so werden die Prinzess*innen immer wieder auf sich und ihre Beziehungen zurückgeworfen. Das ist komisch und lehrreich. Die aktuelle und letzte Staffel sucht nach Schicksal und antwortet (natürlich durch ein episches Finale voller Regenbögen) mit Selbstbestimmung.

She-Ra und die Prinzess*innenallianz bescheinigen, wie vielfältig die Welt ist und wie kompliziert Handlungsmotivationen sein können. So verlieben wir uns in die kratzigste Antagonistin aller Zeiten und lernen Akzeptanz für andere Lebensweisen.

Zugegeben: Wer gedeckte Bilder bevorzugt, muss sich erst überwinden, die Heldinnenreisen ernst zu nehmen. Korra, Kipo und She-Ra passen nicht zu schwerem Rotwein und Manchengo-Häppchen. Sie schreien nach sauren Schnüren und bunten Kaubonbons. Die Entwicklungen der Heldinnen sind deswegen aber nicht weniger lehrreich als die eines Siegfried, und nach einem Merlot-Abend sollte man sich auch die Zähne putzen.