Gut versteckt

Geocaching ist eine Art Schatzsuche, bei der man anhand von GPS-Koordinaten in die Nähe des Verstecks geleitet wird. Hinweise, für die manchmal erst Rätsel gelöst werden müssen, sollen helfen, einen verborgenen Behälter, den Cache, zu finden. Eine passionierte Geocacherin gab unserer Autorin eine Einführung in die geheimnisvolle Welt der digitalen Schnitzeljagd.

Kleines Glossar für das Geocaching. Foto: Seija Seidemann

Es ist kalt, nur ein paar Grad über Null, aber die Sonne scheint. Kati1988, eigentlich Dr. Katharina Höhne, schaut auf ihr Smartphone und sich dann suchend um. Ihr Blick wandert wieder auf das kleine Display in ihrer Hand. Sie studiert einen Text, weiße Buchstaben vor einem schwarzen Hintergrund: “Finde das geheime Kommunikationsmittel und prüfe dessen Inhalt.” Weiter unten wird vor “vielen feindlichen Agenten” beziehungsweise vor “Muggeln” gewarnt, die hier in großer Anzahl vor Ort sein könnten.

“Muggel”? Katharina lacht und erklärt, dass damit Außenstehende, also Nicht-Cacher, gemeint sind. Seit zehn Jahren betreibt sie das Hobby schon und hat seitdem über 4.500 Caches in 21 Ländern auf drei Kontinenten geloggt, also das Finden bestätigt. Ihre Erlebnisse und Begeisterung teilt sie in dem Blog www.kati1988.de

Das erste Versteck soll sich bei einer Bushaltestelle befinden, wo gerade einige Leute auf das nächste Verkehrsmittel warten. Über die Geocaching-App erfährt man aber nicht nur die Koordinaten des Caches, sondern auch viele weitere Infos: Die allgemeine Beschreibung kann Geschichten zur Entstehung enthalten, Informationen zur Umgebung oder auch auf Verknüpfungen mit anderen Caches hinweisen. Sie informiert auch, wie groß das zu suchende Behältnis ist, wie einfach man den Ort erreichen und das Versteck finden kann oder ob man zusätzliche Werkzeuge zum Bergen benötigt.

Cache-Behälter gibt es in verschiedenen Formen, relevant ist aber vor allem die Größe. Die zu kennen, hilft den Cache zu finden, weil man weiß, wonach man sucht. Während die kleinsten Behälter nur wenige Zentimeter messen, gibt es nach oben kaum Grenzen: Ein Nano ist nicht größer als ein Fingerhut, ein Micro immerhin so groß wie eine Negativfilm-Dose und ein Small hat etwa die Größe einer Milchpackung. Behältnisse bis 20 Liter Volumen heißen Regular und als Large wird alles bezeichnet, was größer ist. In den Caches können – je nach vorhandenem Stauraum – neben dem obligatorischen Logbuch auch weitere Gegenstände enthalten sein.

Die App verrät, dass es sich bei dem gesuchten Objekt, um einen Microcache handelt. Kati entdeckt ein hellgraues, rundes Plastikteil an den Metallstreben des Wartehäuschens. Es ist recht weit oben und nicht so einfach zu erreichen. Wir suchen nach weiteren potenziellen Verstecken, natürlich so unauffällig wie möglich. Dann kommt endlich der Bus und nimmt die wartenden Muggel mit, sodass wir endlich freie Bahn haben. Kati hatte inzwischen eine weitere Idee, nimmt auf einem Sitz Platz, greift flink darunter und hält im nächsten Moment eine Filmdose in den Händen. In dem Döschen ist ein zusammengerolltes Heft, etwa sechs Zentimeter breit und zwei Zentimeter hoch – das Logbuch. Katharina kramt nach einem Kugelschreiber und notiert “Kati1988  12.12.20”. Mit Mühe und Not quetsche ich “gutemusikistbesser  12.12.20” auf die nächste Seite und überlege, ob ich mir einen kürzeren Nickname zulegen sollte. Nachdem alles wieder am ursprünglichen Platz verstaut ist, zeigt mir Kati, wo man den Cache in der App loggen muss. 

Geocaching ist im Jahr 2000 in den USA entstanden, weil zu der Zeit die ersten GPS-Geräte auf den Markt kamen. Irgendjemand versteckte damals etwas, stellte die Koordinaten ins Netz und kreierte so den ersten Cache. Inzwischen suchen Geocacher überall auf der Welt nach Caches (oder verstecken welche) und nutzen dafür unterschiedliche Apps. Viele davon greifen jedoch auf die Daten von geocaching.com zu, der größten Plattform in der Szene. Zusammengehalten wird das riesige Netzwerk von Groundspeak, Inc., einer Firma, die sich vor allem um den technischen Part kümmert, aber auch um rechtliche Details und Marketing. Gelegt werden die Caches jedoch von der Community bzw. von denen, die Lust haben, die Verantwortung dafür zu tragen. Denn so ein Cache bedeutet Arbeit: Logbücher müssen ausgetauscht, defekte Caches repariert und verloren gegangene erneuert werden. Wird ein Versteck zu lange vernachlässigt, bleibt nur noch die digitale Beerdigung – der Cache wird archiviert und von der Karte gelöscht.

Damit er vorher aber überhaupt gelistet wurde, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehört ein Mindestabstand zu anderen Caches, das Versteck sollte langfristig und zeitlich uneingeschränkt zugänglich sein, sich auf öffentlichem Gelände befinden und darf nicht vergraben werden. Es dürfen keine Ideologien, politische Ansichten, Werbung oder ähnliches damit verbreitet werden. Der respektvolle Umgang mit Natur, Mensch bzw. Muggel und Eigentum sind wichtig – genauso wie der Spaßfaktor für die großen und kleinen Geocacher. Ist der Behälter dann versteckt und alles detailliert beschrieben, kann der Cache eingereicht werden und wird von einem Reviewer – die meisten arbeiten übrigens ehrenamtlich – genau überprüft. Das geschieht aber meist nur digital anhand der Koordinaten. Sobald der neue Schatz auf der Karte erscheint, geht die große Jagd los, weil jeder gern der “Förster” wäre. Das Wortspiel bezieht sich auf die englische Bezeichnung “First To Find” (erster Finder) und ist von der scherzhaften Übersetzung “Firster” (Erster) abgeleitet.

Katharina erzählt auch von ihren Reiseerlebnissen, denn natürlich gehört zu einem Urlaub auch das Caching dazu und sorgt für manches Abenteuer. So führte die Suche nach Floridas ältestem Cache sie in ein von Alligatoren besiedeltes Gebiet. Glücklicherweise sind die Tiere tagsüber recht friedlich und der Behälter war klugerweise nicht im Unterholz versteckt, sondern an einen Baum gehängt worden. Seit 20 Jahren existiert er inzwischen. 2019 reiste Katharina sogar extra nach Russland, vor allem, weil der Ehrgeiz sie antrieb. Die Weltkarte der Geocaching-App ist anfangs nämlich schneeweiß und färbt sich länderweise grün, sobald ein Cache erfolgreich abgeschlossen wurde. Eine Reise und zwei Funde später zeigte sich auf Katis Karte die riesige Fläche Russlands wunschgemäß im neuen, grünen Gewand.

Wir haben den nächsten Zielort erreicht und schauen uns um: Ein schmaler Fußweg, rechts und links durch Zäune begrenzt, verbindet zwei Straßen miteinander. Ein Straßenschild und grauer Stromkasten scheinen die einzigen Möglichkeiten, um einen Cache der Größe Large zu verstecken. Ein chiffrierter Hinweis in der App, der nach Antippen lesbar wird, gibt den entscheidenden Tipp: “Da geht die Post ab. Nicht gelb.” Der vermeintliche Stromverteiler entpuppt sich somit als Postlagerkasten.

Katharina bückt sich und legt eine längliche Box, etwa 40 x 6 x 6 cm groß, auf den Kasten. Der gesamte Behälter ist aus haargenau demselben grauen Material wie der Postschrank und war an diesem mit Magneten befestigt. In der Schachtel befinden sich lauter Schätze. Auch ein Trackable, ein Wanderobjekt, soll laut App enthalten sein. Aber das schöne, detailliert gestaltete Startrek Raumschiff fehlt. Vermutlich geklaut. Dafür hat jemand eine Lego-Kopie gebaut und mit der ursprünglichen Tracking-Nummer versehen. Kati steckt das Spielzeug ein und vermerkt in der App, dass der kleine “Trackie” nun mit ihr weiterreist. Das funktioniert ähnlich wie beim Staffellauf, wo der Stab von Läufer zu Läufer weitergegeben wird. Außer dem Logbuch, in das wir uns eintragen, befindet sich auch ein Tauschgegenstand in der Kiste. Bestens vorbereitet krame ich aus meinem Rucksack ein kleines Plastikmonster hervor und lege es in die Box. Im Gegenzug nehme ich Prinzessin Belle mit, eine Ü-Ei Figur mit gelbem Flatterrock. Ein guter Tausch und ein tolles Andenken an meine erste Geocaching-Tour. Ich bin begeistert und freue mich wie ein kleines Kind: “Auf zum nächsten Cache”, für den wir aber vorher erst ein Rätsel lösen müssen…

Fortsetzung folgt