16. February 2021
Chi NguyenMehr Optik als alles andere
Das Jahr 2020 ist für die meisten nicht so verlaufen, wie sie es sich vorgestellt haben. Besonders die Kulturbranche musste um viele Ecken denken, um weitermachen zu können. Die Bayerische Staatsoper ermöglicht dem Publikum und den Künstler:innen durch ein breites On-Demand-Angebot den Opernbetrieb weiter am Leben zu halten.
So war auch die Oper Die Vögel, die von Frank Castorf inszeniert wurde, im Stream zu sehen. Und obwohl eine Oper im Stream nur einen Bruchteil eines realen Erlebnisses übermitteln kann, nutzte Castorf die Möglichkeiten der Digitalität und vermischte traditionelle Oper mit zeitgenössischen Referenzen der Popkultur. Was im ersten Akt noch unterhaltsam war, entwickelte sich jedoch im zweiten teilweise zu einer verwirrenden Albernheit.

Die Vögel basiert auf einer antiken Komödie von Aristophanes und wurde 1920 ebenfalls in der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt. Die Oper in zwei Akten beginnt mit einem Prolog der Nachtigall, die von Caroline Wettergreen gespielt wird. Zu Beginn des ersten Aktes lernt man die zwei Menschen Ratefreund und Hoffegut, verkörpert von Michael Nagy und Charles Workman, kennen. Sie wollen der Menschenwelt entkommen und machen sich auf den Weg, das Reich der Vögel zu finden. Der berechnende Ratefreund verfolgt seine eigenen Machtinteressen, während sein gutmütiger Freund Hoffegut nach der großen Liebe sucht, die er unter Menschen nicht finden konnte.
Als die beiden auf den König der Vögel, Wiedhopf, gespielt von Günter Papendell, treffen, versuchen sie ihn, und später das gesamte Vogelvolk, davon zu überzeugen, sich eine eigene Stadt zu bauen. Eine eigene Festung, um schließlich gegen die Götter zu kämpfen und ihre Herrschaft zu beenden. Ohne Happy End endet der zweite Akt mit einer zerstörten Vogelstadt und den zwei Menschen, die doch wieder zurück zu den Menschen wollen.
Im Online-Stream werden Zuschauer:innen inhaltlich abgeholt, indem eine kurze Handlungszusammenfassung gegeben wird. Was normalerweise groß als “Spoilerwarnung” gekennzeichnet werden sollte, stellt sich als äußerst hilfreich für Opernneulinge oder diejenigen, die keine Zeit zum Vorrecherchieren hatten, heraus. Der Überraschungseffekt mag weg sein, doch Opern sind ja eh nicht das Genre für abgefahrene Plot-Twists. In Frank Castorfs Inszenierung ist es von Vorteil zu wissen, was inhaltlich passiert. Denn so kann man sich mehr auf die tatsächlichen Geschehnisse auf der Bühne konzentrieren. Es passiert nämlich viel. Streamen hat den entscheidenen Vorteil, stoppen zu können, wann immer man möchte. Das Bühnenbild ist aufwendig produziert und erweckt den Anschein, viel Symbolik zu beinhalten. Teilweise lenkt die Kulisse und das Bedürfnis, die Bedeutungen entziffern zu wollen, von der eigentlichen Handlung ab. Zum Glück wurde die bereits am Anfang erklärt.
Aleksandar Denić schuf zusammen mit Castorf eine dystopische Welt auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper. Das Vogelreich, das im ersten Akt eher ein heruntergekommener Vogelzeltplatz war, wurde zu einer Stadt mit hohem Funkturm und sich drehender Satellitenschüssel. Die neue Vogelstadt hat Elemente von George Orwells 1984 vermischt mit Saurons Auge in Mordor.
Zusätzlich überschaut ein riesiges Bild von Alfred Hitchcock das Bühnenbild. Außer, dass er einen Film gedreht hat, der auch Die Vögel heißt, lassen sich keine anderen Verbindungen zu Walter Braunfels’ Oper ziehen. Mehr und mehr häufen sich die Fragezeichen im Kopf, die auch bis zum Ende nicht aufgeklärt werden können. Aber vielleicht ist das so gewollt.
So wie die Bühnenkulisse, erwecken auch die Kostüme diese Oper zum Leben. Castorf arbeitete hierfür mit Adriana Braga Peretzki zusammen. Für die Oper designte sie unzählige Feder-Extravaganzen und bildete eine diverse Vogelbevölkerung ab, ohne den meisten einfach nur Flügel anzuziehen. Im ersten Akt sind viele Vögel einfarbig gekleidet, und der Fokus liegt vor allem auf der Nachtigall. Diese betritt bereits im Prolog die Bühne in einem eleganten Kleid in Braun- und Orangetönen. Doch das Highlight sind ihre Flügel: doppelt so groß wie Caroline Wettergreen selbst und sich in alle Richtungen erstreckend.
Der neu errungene Wohlstand durch die erbaute Stadt spiegelt sich auch in den neuen Federgewändern wider. Die Vögel erstrahlen in glitzernden Farben und ausgefallenen Silhouetten. Alles wirkt prunkvoller, extravaganter und luxuriöser. Las Vegas Showgirl trifft auf Zwanzigerjahre-Burlesque. Adriana Braga Peretzki bewegt sich insgesamt viel im Stile der zwanziger Jahre und versetzt Zuschauer:innen in die Zeit, in der Walter Braunfels die Oper geschrieben hat.
Frank Castorfs Inszenierung ist mehr optisches Spektakel als alles andere. Vor allem Caroline Wettergreen überzeugt als Nachtigall zwar mit ihrem Gesang, doch wurde der durch das Gewusel auf der Bühne fast nebensächlich. Es passierte zu oft zu viel auf der Bühne, dass es schwierig war, sich auf die Musik zu konzentrieren. Säße man im Saal vor dem Orchester, wäre es wahrscheinlich anders. Aber auch da würde man den Saal mit mehreren Fragezeichen verlassen und es ließe sich nicht genau bestimmen, ob man das gut fand, was man gerade gesehen hat.
Diese Rezension entstand im Seminar zu “Kunst in der journalistischen Kritik” von Kia Vahland im Wintersemester 2020/21. Eine andere Rezension aus dem dem Seminar über die Inzenierung “Die Vögel” gibt es hier.