23. February 2021
Sarah KailuweitKunststadt Berlin – was bleibt?
Galerien waren während des Lockdown light die einzig verbliebenen Kunstorte der Stadt, bis auch sie schließen mussten. Unsere Autorin flaniert über die Potsdamer Straße auf der Suche nach Kunst in der Pandemie.
Steinerne Tristesse am Potsdamer Platz: Das Blaugrau des Himmels schmiegt sich an das Kaltgrau der Wolkenkratzer. Schnell los Richtung Westen auf der Suche nach mehr Farbe. “Raues Pflaster und hippe Kunstmeile” wird die Potsdamer Straße genannt. Hier, mit Blick auf die Philharmonie, ist die vielbefahrene Straße aber nur glattgebügelt. Ein paar grellorange gekleidete Essenslieferant*innen kontrastieren die moderne Einöde. Eine Biegung nach Süden und ich stehe vor einer Baustelle zwischen Philharmonie, Kulturforum und Sankt Matthäus. Die Berliner Wasserbetriebe erneuern das Kanalnetz und spielen mit ihrem Slogan “Ohne uns läuft nix” auf ihre Systemrelevanz an. Kunst scheint nicht systemrelevant. Kultureinrichtungen werden als Freizeiteinrichtungen bagatellisiert, empörten sich bereits im Herbst diverse Stimmen.
Begleitet von knirschendem Kies unter meinen Sohlen spaziere ich weiter, überquere die Potsdamer Brücke und lasse mich von einem kleinen blauen Schild nach rechts lotsen: Galerie Verein Berliner Künstler. Schließlich bin ich hier, um Galerien zu besuchen. Aber der Raum hinter dem Glas ist verlassen. Die Galerie bleibt aufgrund der aktuellen Corona-Situation vorerst geschlossen, und auch der Flyerkasten gähnt mich leer an.

Foto: Sarah Kailuweit
Also wieder zurück auf die Potsdamer Straße. Kurz hinter der Ecke zum Schöneberger Ufer liegt die Galerie Born Berlin. Der kleine Raum mit grauem Betonboden und weißen Wänden ist von Neonröhren hell ausgeleuchtet. Leinwände der Neuseeländerin Angela Dwyer, die seit 1984 mit ihren farbintensiven Gemälden zur Berliner Kunstszene gehört, lehnen im Atelier-Stil an den Wänden. Ein Bruch im so sauber aufgeräumten Raum der Galerie. Dann verliere ich mich in den fließenden Momentaufnahmen der Künstlerin: Die in der Bewegung eingefrorenen Farben hypnotisieren. Was zu sehen ist, widerspricht der von Dwyer bekannten Untersuchung geometrischer Figuren. Oder es ist nur eine selbstverständliche Weiterentwicklung ihrer Körperstudien? Ich stehe und glotze eine ganze Zeit lang durch die Fenster, finde den Mut, das Kunstaquarium zu betreten – und die Tür gibt nicht nach. Die Dwyer-Ausstellung Solid Shapes ist bereits beendet, verrät mir das Internet. Was ich als kuratorischen Bruch im Raum verstanden habe, war Zweckmäßigkeit, denn die Bilder reisen wieder ab.
Mit den Griffeln sowieso am Smartphone, suche ich nach der nächsten Station. Das Internet verspricht weitere Galerien auf der anderen Straßenseite. Ich werde trotzdem enttäuscht. In der Galerie Michael Janssen rahmen die hellblauen Wände nur leeren Raum. Die letzte Ausstellung (Till Gerhards We‘re all like Mirrors) endete im September. Vergilbte Plakate neben dem Eingang erinnern daran: ein gesichtsloser Wanderer, ausgerüstet mit Schäfermantel und spitz zulaufenden Hut, im Hintergrund verdächtig grüne Bäume. Es riecht nach dem letzten Herbst. Nach ewigen Spaziergängen und Ruhe in der Einsamkeit. Die Loock-Galerie direkt daneben ist umgezogen, erklärt mir ein A4-Aushang. Resigniert stapfe ich weiter.

Foto: Sarah Kailuweit
An der Kreuzung Lützowstraße bricht Alltag über mich herein – fast überfordernd nach so viel leerem Asphalt und Stadtstille. Auf Höhe des Varieté-Theaters Wintergarten lockt eine namenlose Lichtinstallation. Begleitet von rotblinkenden Neonröhren betrete ich die Mercator Höfe. Vor mir ein aus Zeit und Raum gefallener Innenhof: links ehrwürdig herabblickender Altbau, recht ein futuristisch hochgewachsenes Betonhaus, mittig ein ergrauter VW-Käfer. Galerien überall – und alle geschlossen: Winterferien, Corona, Umzug. Vielleicht ist die Kunststadt Berlin tatsächlich im Winterschlaf angekommen. Nur bei Jarmuschek + Partner brennt Licht, aber ich finde den Eingang nicht. Ich bin froh darüber. Zwar habe ich mich für den Spaziergang in Strumpfhosen und Bleistiftrock gezwängt – kaufkräftig sehe ich trotzdem nicht aus. Um Kunst zu entdecken, die erst Jahre später in den Museen ankommt, braucht es eine gewisse Selbstverständlichkeit, die erlaubt, solche Orte zu betreten. Ein Paar kommt mir entgegen, als ich den Hof verlasse. Sie preschen Richtung Galerie Judin, scheitern an der Tür und drücken deswegen ihre Nasen an die verspiegelten Fenster. “Wir waren hier mal auf einer Vernissage – erinnerst du dich? Früher war hier auch mehr los.” Szenekenner*innen also. Es befriedigt mich zu realisieren, dass sie auch manche Grenzen nicht übertreten können.

Foto: Sarah Kailuweit
Weiter die Potsdamer Straße Richtung Schöneberg zur Editionsgalerie Klosterfelde. Auch hier ist der Verkaufsraum geschlossen. Man konzentriert sich auf Schaufensterausstellung. Daheimbleiben ist schließlich eine Tugend. Warum also nicht die Neugierde auf die eigenen vier Wände mit Kunst neu entfachen? Vier Pakete voller Drucke und Bücher stehen zur Auswahl – ganz im Sinne Marcel Duchamps Museum in der Schachtel. Kostenfaktor der “Home Show”: 3.500 €. Wie es sich wohl anfühlt, das Geld für fünf Monate Miete in Kunst zu investieren?
In der Pohlstraße grüßt die Galerie Guido W. Baudach mit heruntergelassenen Rollos. Ich laufe weiter. In der Galerie ep.contemporary finde ich tatsächlich Menschen und werde gleich angesprochen. Aufgrund des strengeren Lockdowns entsteht auch hier eine Schaufensterausstellung. Im Hintergrund wird ein Holzgerüst für die Präsentation gebaut, in den Schaufenstern liegen Fotografien und kleine Malereien von Alltagsgegenständen in Sepiatönen. Im Fokus: zeitlose Dinge, die verfügbar sind.

Foto: Sarah Kailuweit
Die Galerie Tanja Wagner auf der anderen Straßenseite ist geschlossen, lässt aber durch die Schaufenster blicken. Hier hängen Fotografien von Lina Scheynius, die ihr Bett in verspieltem Licht festhält. Die große Leinwand rechts erinnert rot und weich an Gebärmutterinneres, bis ich mich ein paar Schritte entferne und plötzlich Körpersilhouetten entdecke. Körperliche Nähe als Sehnsuchtsort in Grit Richters Gemälde Das letzte Wort.
Es stimmt, denke ich zurück im Rauschen der Potsdamer Straße: Die Kunst unserer Zeit ist vor allem in Galerien zuhause. Sie erfüllen eine Doppelfunktion, wie die Galeriestudie 2020 betont: als Wirtschaftsbetriebe und als Kultureinrichtungen, die bildende Kunst fördern. Berlin gilt als eine der besten Produktionsstätten der Gegenwartskunst: vielfältig, heterogen und dezentral. Barrierefrei ist die Szene aber nicht. Sie ist beherrscht von einem eigenen Usus, der Ahnungslose zurückschrecken lässt. Es braucht Mut, private Ausstellungsflächen zu betreten. Kunstgucken durch Schaufensterbummelei ist also keine schlechte Idee und vielleicht der perfekte Kompromiss aus virtuellem Wissenserkenntnis und analogem Kunstgenuss.
Dieser Text ist im Rahmen des Seminars “Kunststadt Berlin” im Wintersemester 2020/21 entstanden.