08. March 2021
Linda Peikert“Antifeminismus liefert einfache Antworten”
Rebekka Blum ist Soziologin mit dem Schwerpunkt Antifeminismus und Rechtsextremismus. Im Interview erzählt sie von der Gefahr, die vom Antifeminismus ausgeht, gerade in Zeiten von Corona.

Die Regenbogenflagge reißen drei Personen in der Mitte durch. “Ihr seid kein Teil unserer Gesellschaft. Wir müssen unsere Kinder vor Kinderschändern schützen”, hallt es am Samstag, den 5. September 2020, von der Bühne der Querdenkerdemo in Wien. Tosender Beifall vom Publikum.
Verschwörungen, zunehmender Antisemitismus und Neonazis, die versuchen, in das Reichstagsgebäude einzudringen: Die Stimmung ist geladen. Antifeministische Äußerungen oder Aktionen gegen Frauen und Queers sind Teil der Strategie. Ein Beispiel dafür lieferte Joseph Wilhelm, Chef des Bioherstellers Rapunzel. Im Frühjahr publizierte er Wochenbotschaften zur Coronasituation, in denen er unter anderem die Infektionstoten mit Schwangerschaftsabbrüchen in Relation setzte und sich der Rhetorik von Abtreibungsgegner*innen bediente.
Zu solchen Fällen forscht Rebekka Blum. Sie hat Soziologie und Geschichte an der Universität Freiburg studiert. Ihr Schwerpunkt sind Geschlechter- und Rechtsextremismusforschung. 2019 publizierte sie ihr erstes Buch mit dem Titel Angst um die Vormachtstellung: Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Linda Peikert hat mit ihr gesprochen.
Was genau ist Antifeminismus?
Antifeminismus ergibt sich aus dem Begriff und bedeutet: Gegen Feminismus. Antifeminist*innen sind Personen, die sich gegen die Gleichstellung im Bereich der Geschlechterverhältnisse, aber auch im Bezug zur sexuellen Vielfalt stellen. Ich würde auch LGBTQI+-Feindlichkeit und Queerfeindlichkeit mit unter Antifeminismus summieren. Antifeminismus ist Teil der rechten Ideologie, aber trotzdem in der Gesellschaft relativ breit anschlussfähig. Es geht praktisch um ein Verharren in traditionellen Geschlechterbildern.
Was sind das für Leute, die antifeministisch aktiv werden?
Konservative bis extrem Rechte. Antifeministische Debatten tauchen auch oft im Feuilleton auf. In der FAZ ist, nur ein Beispiel, ein Artikel publiziert worden, in dem es heißt, es gebe keine “normalen” Familien mehr, weil wir eine “trans Propaganda” erleben würden. Anstatt dass für Vielfalt oder die Akzeptanz verschiedener Lebensweisen gekämpft wird, werden queere Lebenskonzepte hier als Propaganda dargestellt. Das ist typisch für den Antifeminismus im konservativen Milieu. Hier sind Akteur*innen beispielsweise auch gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und plädieren gegen geschlechtergerechte Sprache. Ein weiteres Milieu innerhalb des Antifeminismus sind Maskulinisten. Das sind Männer, die oft ausgehend von Sorgerechtsstreitigkeiten eine gewisse Frauenfeindlichkeit entwickeln. Sie gehen davon aus, dass der Staat feministisch durchsetzt sei. Dazu passen auch Gruppen wie Incels oder Pick-up-Artists. Pick-up-Artists sind Männer, die Seminare dazu geben, wie man Frauen manipuliert, und Incels sind Männer, die frustriert sind, dass sie keinen Sex haben und diesen Frust in Frauenfeindlichkeit umwandeln. Auch bei christlichen Rechten ist Antifeminismus ein Thema. Die sogenannten “Lebensschützer” sind besonders aktiv gegen Schwangerschaftsabbrüche und gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Es gibt antifeministische Akteur*innen auch in den Kreisen von Pegida und AfD, bis hin zu extrem Rechten. Auch im rechten Terror ist Antifeminismus verankert: Bei dem Attentat von Halle war Antifeminismus beispielsweise ein wichtiges Teilmotiv.
Was hat Antifeminismus mit dem Gemisch aus Verschwörungsmystiker*innen und Neonazis zu tun, die gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße gehen?
Eine zentrale Gefahr des Antifeminismus ist es, verschiedene Milieus zu mobilisieren und Bündnisse zu schmieden. Wie zum Beispiel bei der “Demo für alle” gegen Reformen des Sexualkundeunterrichts, wo christliche Rechte, extrem Rechte, aber auch Konservative Seite an Seite zu erleben waren. Die Gleichstellung der Geschlechterverhältnisse stellt ein gemeinsames Feindbild dar. Durch Corona wird das noch erweitert. Impfgegner*innen und Esoteriker*innen stoßen dazu. Viele Menschen aus diesem Spektrum waren wahrscheinlich vor Corona nicht mit den klassischen Rechten gemeinsam auf Demos. Dank dem gemeinsamen Feindbild kann Antifeminismus ein Einstieg in ein verschlossenes, verschwörungsgläubiges Weltbild sein. Coronademos können auch einen solchen Einstieg bieten. Momentan sinken also die Hürden, in rechte, verschwörerische Milieus einzusteigen, enorm. Sie vernetzen sich auch untereinander: Eva Hermann, ehemalige Tagesschausprecherin und aktive Antifeministin, hat mit dem verschwörungsaffinen Xavier Naidoo ein Interview geführt. Bei Verschwörungserzähler*innen und bei Antifeminist*innen gibt es den Wunsch nach einfachen Wahrheiten und Sündenböcken. An diesem Punkt treffen sie sich.
Wenn sich nun durch Corona mehr Interessengruppen verbünden, wächst dann auch der Einfluss des Antifeminismus?
Das ist die ganz große Gefahr. Es zeigt sich ja schon, dass der Antisemitismus deutlich zunimmt. Auch das Zerreißen der Regenbogenfahne in Wien zeigt das deutlich. Früher wäre so etwas eher auf kleinen Demos von Rechtsradikalen passiert. Jetzt stehen viele tausend Menschen vor so einer Bühne und jubeln dem Geschehen zu. Die Coronamaßnahmengegner*innen wie die Initiative Querdenken versuchen sich zwar von den extremeren Rechten etwas zu distanzieren, doch wenn man dann schon mal mit Rechten demonstriert hat, gibt es weniger Abgrenzungsbedürfnisse. Langfristig können verschwörerische Erzählungen Einfluss nehmen. Und die sind gefährlich, denn Verschwörungen sind eigentlich immer menschenfeindlich, mit Antisemitismus verbunden und mindestens latent bis offensiv antifeministisch. Zu dem kommt, dass Menschen in großen Gruppen auf die Straße gegangen sind, um gegen Coronamaßnahmen zu demonstrieren. Das hat einen zweiten Lockdown wahrscheinlicher gemacht. Für viele Frauen bedeutet das wieder Homeoffice und Care-Arbeit als Doppelbelastung.
Berufsgruppen wie Krankenpfleger*innen und Kassierer*innen, in denen überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten, haben während Corona endlich ein bisschen mehr Anerkennung bekommen. Gleichzeitig haben durch die Krise besonders viele Frauen ihren Job verloren. Welche Auswirkungen hatte Corona noch auf das Rollenbild der Frau?
Viele Kitas und Schulen sind geschlossen. Die berufstätigen Erwachsenen müssen sich zeitintensiver um die Kinder kümmern und sind für Homeschooling zuständig. Es hat sich gezeigt, dass diese Zusatzbelastung vor allem Frauen wie selbstverständlich übernommen haben. Die Gesellschaft fällt anscheinend schnell in traditionelle Muster zurück. Antifeminist*innen haben diese Retraditionalisierung durch Corona für sich genutzt. Zum Beispiel Birgit Kelle, Publizistin und bekannte Antifeministin, hat auf dem Blog Demo für alle einen Artikel publiziert: “Die ersetzbare Mutter – ein Mythos hat Pause.” In dem Text behauptet sie, es sei ein Mythos, dass Frauen nicht zu Hause sein müssten. Ihre Rolle sei der Haushalt und die Kindererziehung.
Warum blüht Antifeminismus parallel zur Coronasituation auf?
Antifeminismus ist ein Krisenphänomen. Es zeigt sich oft, dass Antifeminismus in Zeiten der Verunsicherung zunimmt. Antifeminismus liefert einfache Antworten. Wenn Menschen sich bedroht fühlen, dann wünschen sie sich einfache Antworten mit einer Sündenbockrhetorik. Ich sehe die Gefahr, dass sich das rechte Spektrum durch Antifeminismus und Corona gerade enorm vergrößern könnte.