Ode an die Fischsauce

Hätte die vietnamesische Küche ein Herz, würde Fischsauce durch seine Adern fließen. Sie verbindet und sorgt für Gleichgewicht. Sie ist flüssiges Gold, die nicht geheime Geheimzutat. Fischsauce ist viel mehr als nur ein Würzmittel.

Fischsauce wird nicht nur als Würzmittel, sondern auch als Dip (Nước chấm) verzehrt. Foto: @percythaipahm auf Unsplash

Zugegeben – ich kann verstehen, dass für manche „Fischsauce“, oder „Nước mắm“ auf vietnamesisch, zunächst abschreckend klingen muss. Und Fakt ist: Der Geruch ist wirklich nicht besonders einladend. Aber es muss einen Grund geben, warum „stinkende“ Lebensmittel so oft als Delikatessen gelten. Sind Stinkerkäse, Surströmming, Durian vielleicht nur Genussmittel für mutige Connaisseure? 

Doch Fischsauce ist anders. Sie ist ein zu alltäglicher Bestandteil der südostasiatischen Kulinarik, um als Delikatesse bezeichnet zu werden. Es erfordert auch keinen Mut, um auf ihren Geschmack zu kommen, denn verarbeitet schmeckt sie kein bisschen fischig. In der vietnamesischen und thailändischen Küche wird mehr mit Fischsauce gewürzt als mit Salz. Sie verleiht Gerichten eine viel komplexere Geschmackspalette als Salz es je könnte. 

Dafür, dass unzählige Liter Fischsauce täglich weltweit verbraucht werden, ist die Herstellung verhältnismäßig aufwendig. Die Ursprünge liegen in China, wo circa 2300 Jahre alte Aufzeichnungen von Würzsaucen auf fermentierter Fischbasis gefunden wurden. Heute wird Fischsauce größtenteils in Thailand oder Vietnam hergestellt und weltweit exportiert. 

Sie wird hauptsächlich aus Sardellen gewonnen, die einen langen Fermentierungsprozess durchlaufen. Die kleinen Fische werden in riesigen Behältern unter Salz begraben und für mehrere Monate, manchmal bis zu einem Jahr, in die tropisch feuchte Sonne gestellt, wo sie langsam zersetzt werden und ihr Aroma entwickeln. Man kann sich nur vorstellen, wie es dort riechen muss. 

Aus den fermentierten Sardellen wird dann die eigentliche Fischsauce herausgefiltert und in Flaschen abgefüllt. Die Fischsauce, die bei uns in den Asiamärkten steht, wird üblicherweise aus dem zweiten oder dritten Filtrationsdurchgang gewonnen und hat einen Fischgehalt von nur 10 bis 30 Prozent. Je höher die Fischkonzentration in der Sauce, desto teurer ist sie. 

Nicht nur zum Würzen ist Fischsauce essenziell, sondern sie wird in Vietnam zu zahlreichen Gerichten, wie zum Beispiel zu Sommerrollen, als Dip serviert. Die Fischsauce wird dafür verdünnt und und meistens mit Zucker, Essig, Knoblauch und Chilis verfeinert, bis alles im richtigen Verhältnis süß, sauer und salzig ist. Die Zutaten sind zwar simpel, doch es braucht ein gewisses Fingerspitzengefühl, um den perfekten Fischsaucendip zu mixen. Als ich meine Mutter nach einem Rezept für ihren Dip fragte, sagte sie nur, „einfach abschmecken“, aber „bloß nicht weitersagen“.

Sie sagt, es gäbe zu fast jedem Gericht einen anderen Dip. Für jeden muss das Verhältnis der Zutaten verändert werden. Manchmal nimmt man Limette statt Essig oder lässt den Knoblauch weg. Die Möglichkeiten sind unendlich. Und am Ende entscheidet die Fischsauce, ob eine Mahlzeit ein abgerundetes, stimmiges Zusammenspiel von Aromen ist oder einfach nur als mittelmäßig gewertet werden kann. Deswegen ist meine Mutter bei Feiern meistens diejenige, die für den Dip zuständig ist. 

Vietnamesische Kultur wäre nichts ohne die Vielfalt des Essens. Doch die eine Zutat, die überall gleich verwendet, geschätzt und geliebt wird, ist Fischsauce. Wenn ich sage: Fischsauce ist das Herz und die Seele der vietnamesischen Kultur, ist das keine Übertreibung.