WortSchatz: Stigma

Was ist eigentlich ein Kinkerlitzchen? Warum zieht es wie Hechtsuppe? Und was soll diese grüne Neune sein? Unsere Textkategorie “WortSchatz” ist die Fundgrube von Praxis. Hier graben wir nach Urgesteinen der Sprache, schürfen nach goldenen Zeichen und fördern allerlei verborgene Bedeutung zu Tage.

Foto: Anna-Lena Schlitt

Unter dem Hashtag #endthestigma findet man auf Instagram knapp anderthalb Millionen Beiträge. Die meisten Menschen, die solche Posts verfassen, setzen sich dafür ein, psychische Erkrankungen in den Fokus zu rücken, dafür zu sorgen, dass psychisch Kranke keine Ausgrenzung erfahren. Doch warum eigentlich Stigma? Im Duden steht die bildungssprachliche Erklärung: Ein Stigma ist “etwas, wodurch etwas oder jemand deutlich sichtbar in einer bestimmten, meist negativen Weise gekennzeichnet ist und sich dadurch von anderem unterscheidet”.

Im Christentum und im Mittelalter wurde der Begriff oft so verwendet, dass die Sichtbarkeit im Mittelpunkt steht. Beispielsweise werden die Narben in den Händen Jesu Christi als Stigmata bezeichnet. Der Begriff Stigma wird hier im Sinne eines kennzeichnenden Mals verwendet, das an ein Ereignis oder eine Eigenschaft gebunden ist, mit der das Umfeld eine – meist negative – Assoziation hat. Auch in der Soziologie wird der Begriff für diejenigen verwendet, die von der Gesellschaft im übertragenden Sinne gebrandmarkt sind.

Doch nicht nur im Religionsunterricht hat der ein oder andere eventuell schon vom Stigma gehört. Auch im Biologieunterricht kamen viele kaum an dem Wort vorbei, als man vor schlecht ausgedrucktem Papier mit dem Querschnitt einer Tulpe saß und die einzelnen Blumenteile beschriften sollte. Wer sich nur dunkel erinnert: Das gelbe Ding in der Mitte wird Narbe beziehungsweise Stigma genannt und soll den Pollen aufnehmen. Es bildet, gemeinsam mit dem Griffel und Fruchtknoten, den Stempel.

Eine positive Deutung von Stigma findet sich in der Antike, im griechischen Wort στίγμα, das ein Mal am Körper bezeichnete, welches Zugehörigkeit zu einem Stamm ausdrückte. Weniger freiwillig waren Brandmarken auf der Haut von Sklav*innen: Diese Stigmata drückten – ähnlich wie heutzutage noch bei Nutztieren – Besitz aus. Auch Dieb*innen oder Münzfälscher*innen wurden im Mittelalter zur Strafe mit Stigmata auf der Haut gebrandmarkt.  

Betrachtet man nun unter Einbezug der historischen Nutzungen das #endthestigma erneut, fällt auf: Stigma hat eine ambivalente, vielseitige Deutung. Eine psychische Erkrankung brandmarkt leider noch immer gesellschaftlich. Gleichzeitig: Je mehr Menschen über das Stigma sprechen, desto mehr transformiert es sich und löst sich im besten Fall auf.