Happy End in der Oper

Nach acht Monaten pandemiebedingter Schließzeit ist die Staatsoper Unter der Linden wieder geöffnet. Unser Autor hat eine der ersten und gleichzeitig auch die letzte Vorstellung dieser Spielzeit miterlebt. 

Ausverkauft, aber nicht vollbesetzt: der Zuschauerraum der Staatsoper Unter den Linden Foto: Victor Marquardt

Als ich mir überlegt habe, was man denn der lieben Mutter in diesem Jahr zum Geburtstag schenken könnte, stand fest, es muss etwas ganz Besonderes sein. So wie jedes Jahr natürlich, aber eben noch viel besonderer. Meine Wahl fiel auf Opernkarten. Man muss dazu wissen, dass die Angehörigen meiner Familie schon über Generationen begeisterte Operngänger sind und sie natürlich auch nicht in irgendeine x-beliebiges Opernhaus gehen, meine Eltern sind Ost-Berliner, sondern in die Staatsoper Unter den Linden. 

Nun haben wir in den vergangenen Jahren, auch als die Staatsoper wegen der Sanierung ihres Hauses sieben Jahre im Schillertheater residierte, sehr viele verschiedene Opern gesehen. Jeder Abend war großartig auf seine Weise. Aber diese Vorstellung des völlig zu Unrecht relativ unbekannten Werkes La franciulla del West von Giacomo Puccini war nach über einem halben Jahr coronabedingter Staatsopernabstinenz ein wirklich außergewöhnliches Erlebnis. 

Am Tag der Vorstellung, ein Samstag, klassischer Operntag also, waren wir schon etwa eine Stunde vor Vorstellungsbeginn vor dem Haupteingang der Staatsoper, um das von uns so heftig vermisste Haus rundum genießen zu können. Wir waren fast so aufgeregt wie bei unserem ersten Besuch nach der Sanierung. 

Ausgestattet mit personalisierter Karte, frischem Antigen-Test und verschiedenen Sorten Masken waren wir nun bereit, unseren geliebten Prachtbau zu betreten. Vor lauter Euphorie hatte meine Mutter ihren Personalausweis vergessen, den man für die pandemiebedingte Kontrolle benötigte. Nach einem kurzen „Wie kannst du nur ohne …“ und „Das kann doch nicht wahr sein …“ durfte sie trotzdem rein, und wir fühlten uns wie hinter der Tür des Berghains. Es war wirklich aufregend, die Treppen zur Garderobe herunter zu schreiten, und das eigentlich gewöhnliche Jackenabgabe-Prozedere zu vollziehen. 

Erster Rang, Seite Rechts, Reihe 4 für mich und eine dahinter für meine Eltern. Es war auch sonst immer ein spezielles Gefühl, wenn man den Zuschauerraum der Staatsoper betrat und die wundervolle Architektur Richard Pauliks einfach nur genoss. Aber als ich mich dieses Mal setzte und meinen Blick durch den Saal schweifen ließ, die hallenden Stimmen den anderen Gäste und die Instrumente wahrnahm, die im Orchestergraben von den Musikerinnen und Musikern gestimmt wurden, empfand ich ein besonderes Euphoriegefühl. Endlich wieder hier!

Aufgrund der umgesetzten Hygienemaßnahmen gibt es mehr Platz als sonst. Der Zuschauerraum ist etwa zu einem Drittel gefüllt, viele Stühle sind mit Gurten festgezurrt. Eine Bewegungsfreiheit, an die man sich eigentlich gewöhnen könnte, die aber auf der anderen Seite auch ein Indiz dafür ist, dass die Staatsoper nur ein Drittel ihrer Karten verkaufen kann und diese Vorstellung auch nur dank großzügiger Subventionen des Landes und seiner Stiftung Oper in Berlin möglich ist. Postpandemisch sollte ein volles Haus wieder das Ziel sein. 

Dank der großen Abstände und entgegen der Erwartungen durften wir während der Vorstellung, d.h am Platz, die Maske absetzen. Das war toll, weil es sich fast wieder wie Normalität anfühlte. 

Nach dem ersten Akt ging es in den Apollo-Saal, um einen Glas Prosecco zu trinken und auf die wiedergewonnene Opern-Freiheit anzustoßen. Erstmalig war die Tür zur Freitreppe nach draußen geöffnet und viele Zuschauerinnen und Zuschauer, so auch wir, verbrachten die halbe Stunde bis zum zweiten Akt im Freien. Der laue Sommerabend, der Sonnenuntergang und die Säulen oberhalb der Freitreppe boten gemeinsam eine unbeschreibliche Szenerie. 

Nach dem zweiten und dritten Akt von La franciulla del West, letzterer endet anders als die meisten Puccini-Opern mit einem Happy End, hielt der Applaus ganze 20 Minuten an. Den Solistinnen und Solisten, Sängern des Herrenchores, Komparsinnen sowie dem Dirigenten und dem Orchester war die Freunde über diese Vorstellung sichtlich anzusehen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer klatschten so eifrig und laut, dass man hätte denken können, der Saal wäre bis auf der letzten Platz belegt.

Es war eben nicht irgendeine letzte Vorstellung von irgendeiner Spielzeit. Es war die letzte Vorstellung einer Spielzeit, wie sie turbulenter und heftiger für die Staatsoper und ihr Ensemble nicht hätte sein können. Ein Spielverbot für fast eine gesamte Saison – das hatte es seit der Eröffnung der Staatsoper 1743 außer kriegsbedingten Unterbrechungen nicht gegeben. Dementsprechend emotional war der Abschied in die Theaterferien, die normalerweise bis Anfang September dauern. 

Zwar ist der Vorhang vorerst gefallen. Doch dieses Mal wird er nicht so lange geschlossen bleiben. Jedenfalls nicht über ein halbes Jahr lang.