Hit me baby one more time

Dungeon-Crawl trifft Dating-Sim: ein neues Indiespiel lädt ein, Monster zu töten und sich nebenbei zu verlieben. Wie funktioniert das und warum tritt “Boyfriend Dungeon” eine neue Debatte über Kunstfreiheit los? 

CW: Stalking, Beschreibung von Gewalt

Sommer, Strand und Dungeons: das neue Spiel von Kitfox Games erleichtert dank Dating-Sim auch Gaming-Einsteiger*innen den Lauf. Bildquelle: Kitfox Games

Zuerst erscheint eine Inhaltswarnung: “This game may include references to unwanted advances, stalking, and other forms of emotional manipulation. Play with care.” Was da im Hintergrund lädt, kann also auf Annäherungen unerwünschter Personen anspielen, die bis zum Stalking reichen und andere Formen von emotionaler Manipulation präsentieren. Puh – dabei sollte das kleine Indie-Game doch vor allem unterhaltsame Stunden auf der Couch liefern.

Am 11. August veröffentlichte Kitfox Games, ein kleines unabhängiges Spiele-Studio mit Sitz in Montreal, das Dungeon-Crawl-Abenteuer Boyfriend Dungeon. Hinter dem Genre “Dungeon Crawler” verstecken sich Spielszenarien, in denen sich die Figuren durch eine Labyrinthumgebung (einem “Dungeon”) navigieren und dort gegen Feinde kämpfen, um Schätze zu plündern. Das Besondere bei Boyfriend Dungeon: Neben den obligatorischen Kämpfen in den unterirdischen Gängen besticht das Spiel mit einer Dating-Simulation.

Nach der Content-Warnung folgt die Charaktererstellung: Name, Pronomen, Augenform, Hautfarbe, Frisur, Haarfarbe und los geht’s! Auf nach … Halt! Neue Warnung: Das Spiel plant manchmal, unterstützende Textnachrichten von einer Mutterfigur zu senden. Es kann ausgewählt werden, ob das in Ordnung ist oder diese Nachrichten besser deaktiviert werden sollen. Dating-Sims, wie das Spielgenre umgangssprachlich heißt, sind per se persönlichere Spielerlebnisse – schließlich geht es um die Liebe.

Nach dieser zweiten Trigger-Warnung eröffnet sich endlich die Welt von Verona Beach, inklusive Strand, Park, Einkaufszentrum, Museum, Club, Restaurant und Katzen-Café. Wir sind bereit für einen unvergesslichen Sommer in der alten Wohnung unseres Cousin Jesse. Der lebt seit kurzem wieder bei seinen Eltern und hat gehört, dass wir noch nie in unserem Leben ein Date hatten. Das Problem ist auch schnell etabliert: fehlendes Selbstvertrauen. Gut, dass es in Verona Beach seit kurzem einen neuen Fitness-Trend gibt, der nebenbei darauf abzielt, die eigenen Ängste zu konfrontieren: Dungeons! Unter dem Einkaufszentrum lungern lästige Monster, die (warum auch immer) individuelle Formen annehmen, je nachdem, wer versucht sie zu beseitigen. Das Monstertöten ist Workout, Möglichkeit neue Menschen zu treffen, und wird auch noch bezahlt – perfekt. Und so finden wir uns schnell in den Gängen des Einkaufszentrums wieder.

Von schräg oben sehen wir unsere kleine Pixel-Figur durch die verlassenen Gänge rennen, hier ein geschlossenes Geschäft, da ein paar einsame Buchsbäume – dann: eine silberleuchtende Klinge auf dem Boden. Sehr gut, denn für das Monstertöten braucht man schließlich eine Waffe. Dann aber spricht der Degen plötzlich und stellt sich vor: Issac, ein Fechtlehrer, der die grundlegenden Dungeon-Regeln erklärt. In der Welt von Verona Beach gibt es nämlich Menschen, die sich in Waffen verwandeln können. Und die kann man daten.

Im Dungeon manifestieren sich die Monster je nach den individuellen Ängsten der Spielfiguren. Für was die Martinigläser wohl stehen sollen? Bildquelle: Kitfox Games

Im Spiel wechseln sich Dungeon-Crawl und Dating-Sim ab, um immer intensivere Beziehungen zu den Waffen-Menschen aufzubauen, denn “wer zusammen kämpft, bleibt zusammen”, heißt es im Werbetext – eine fragwürdige Form von Kameradschaft. Schließlich gibt es eine klare Hierarchie zwischen Werkzeug und der Person, die es nutzt. Die datebaren Waffen betonen ununterbrochen, wie spaßig das gemeinsame “dunjn” ist, aber ob es sich wirklich so gut anfühlt, permanent auf hüpfende Klapphandys und krebsende Schnurtelefone gedroschen zu werden? 

Die Persönlichkeiten der Figuren harmonieren natürlich mit ihrer Waffenidentität: die leichtfüßige Valeria ist ein Dolch, der gefährliche Sunder ein sexy Talwar, der K-Pop-Star Seven ein prickelndes Lichtschwert und so weiter. Da blinzeln schon ein paar Klischees um die Ecke, die oft selbstironisch formulierten Dialoge besänftigen aber schnell wieder. So oder so: das Verona Beach von Boyfriend Dungeon ist ein Regenbogentraum: Queere Beziehungen sind genauso selbstverständlich wie Figuren, die “they/them”-Pronomen bevorzugen. Nebenbei werden Konsens-Konzepte verhandelt und Beziehungen in allen Facetten präsentiert. Und zwischendurch tötet man eben ein paar Monster. “C’est la vie”, wie Valeria so gerne flötet.

Das Schöne an Dating-Sim: Mit Ablehnung muss man größtenteils nicht rechnen. Bildquelle: Kitfox Games

Trotz Inhaltswarnung und Inklusivität wurde Kitfox Games nach Veröffentlichung kritisiert: die anfänglichen Warnungen seien nicht explizit genug und eigentlich sollte die ganze Problematik des Stalkings optional sein, damit auch Traumatisierte das Spiel genießen können. Es stimmt: Die unerwünschten Annäherungen einer bestimmten Figur sind nicht zu umgehen – egal wie abweisend man sich verhält und wie deutlich man: “Nein, ich will das nicht!”, sagt. Stalking ist ein Bestandteil des Narrativs. Eine Warnung, die das ganz klar sagt, kann da hilfreich sein – vor allem, wenn diese ausdrücklich gefordert wird. Kitfox Games entschuldigte sich am 14. August via Twitter und versprach eine überarbeitete Fassung, die drei Tage später veröffentlicht wurde. 

Die Forderung, die Stalking-Erfahrung im Spiel komplett ausschalten zu können, ist dagegen problematisch. Hier stehen sich Kunstfreiheit und Traumasensibilität breitbeinig gegenüber. Es ist wichtig, dass sich Opfer von Stalking oder anderen traumatischen Erfahrungen vor möglichen Retraumatisierungen schützen können. Deswegen gibt es Inhaltswarnungen, so wie an Theatersaaltüren auch vor dem Einsatz von Stroboskoplicht gewarnt wird, damit Epileptiker*innen Anfälle vermeiden können. Content-Warnungen bedeuten Sensibilität für andere Lebensrealitäten und sollten selbstverständlich sein. Wird die Welt aber eine bessere, wenn gewaltvolles und problematisches zwischenmenschliches Verhalten nur noch wählbare Optionen sind? Wie sähen beispielsweise Fjodor Dostojewskis Werke ohne die blutige Beschreibungen von Gewalt aus? Und wären sie immer noch die literarischen Kunstwerke, die sie heute sind? Dasselbe gilt für Videospiele: Erwachsene Konsumierende müssen eigenverantwortlich entscheiden (können), ob sie sich den Inhalten aussetzen oder nicht. Denn: Nicht alle Spiele sind für jede*n.