• Mutter und Sohn (ca.8) laufen über den Penny-Parkplatz. Mutter: Und, die Erstklässler, wie sind die so? – Junge: Die nerven komplett. – Mutter: Wieso? – Junge: Kein Wieso. Nerven eben. (angro)
  • Parkaue Lichtenberg: Das an einem Hochparterrefenster angebrachte Rollo mit dem knallroten Graffiti CLIT fällt rasselnd herunter. (angro)  
  • Der Himmel grau im Wolkenmeer. Duft von Waschmittel zieht mit der kalten Luft durchs Fenster hinein, und mit einem fallenden Blatt entschwindet der Sommer. (neri)
  • Das Kleinkind, das bei mir bleibt, weil die Eltern "kurz ein Sofa in Schöneberg abholen wollen". Fünf Stunden später schiebe ich immer noch den Kinderwagen gegen den Herbstwind in Neukölln. (sk)
  • Habe heute Muskelkater von gestern. Auf ein Auto einschlagen, bis die Scheiben einbrechen, ist eben ungewohnte Arbeit. (sk)
  • Zuhause ist kein Ort mehr, sondern viele. Ein Gefühl der Ruhe. Dort, wo die Gedanken es schaffen, hell zu bleiben. (kla)
  • Ich tanze heimlich durch die Großstadt, bewege mich innerlich, fernab von Blicken. Berlins kalte Härte knallt an mir ab, macht mir weniger Angst als zuvor. (kla)
  • Neun Monate Berlin-Abstinenz, dann: Bier im Spät mit Kreditkarte zahlen, geht nicht. Baustellen, überall Baustellen. Döner schmeckt immer noch. Masken, überall Masken. Feiern geht wieder, habe aber keine Lust hinzugehen. Kippenstummel, überall Kippenstummel. Es rauscht und knallt und immer noch fühlen sich einige in der S-Bahn so zuhause, dass sie ihre Musik und Telefonate auf laut stellen. (kla)
  • Die ältere Dame an der Haltestelle des Busses 104 Richtung Stralau, Tunnelstraße, die sich mit ihren bonbonfarbenen Sneakern, dem himmelblauen Mantel und der kirschroten Handtasche von den üblichen Einheitsgrau- bis Beigenuancen am Theodor-Heuss-Platz abhebt. (vm)
  • Ringbahnhof Hermannstraße. Einer läuft auf dem S-Bahnsteig ganz dicht an den Gleisen entlang, wirft plötzlich und mit voller Wucht, die Bahn nach Spindlersfeld ist schon in Sichtweite, eine leere Bierflasche auf die Schiene und brummelt vor sich hin: "Der Zuch jeht nach Schöneweide, da steig ick nich ein, da wohnt meine Ex, da will ick nich hin, nee, will ick nich." (angro)

  • 9 Uhr, Flughafen Arlanda: Ich schaue auf die Departures-Tafel. Berlin, 11.30 Uhr. Zehn Minuten früher könnte ich nach Sundsvall, eine Stunde später nach Kiruna. Ich erinnere mich an die Lektüre von Max Frischs Homo Faber vor dem Abi und überlege, so wie der Protagonist des Buchs, einfach nicht ins Flugzeug zu steigen. Stattdessen trinke ich mir mit Rosé Deutschland schön und gehe danach zum Gate 3A. (kla)  
  • Die Frau, die im Sommertheater im Zoo eine Ornithologin spielt und der elegant wie für einen Opernbesuch gekleidete ältere Zuschauer, der in Pause an sie herantritt und sagt: "Meine Enkelin und ich haben letzte Woche einen verletzten Spatz hier in Ihrer Abteilung abgegeben. Wie geht es ihm? Und sagen Sie jetzt nicht, dass Sie ihn an die Schlangen verfüttert haben." (angro)

  • Postkarte aus dem Van im Skuleskogen Nasionalpark: Es rattert und knallt hinter meinem Kofferraum. Ich wache auf, mein Herz rast, ich klettere auf den Vordersitz und drücke die Hupe. Kurz kurz kurz, lang lang, kurz kurz kurz. Soldaten stürmen zu meinem Auto, das rattern stoppt. Dann wache ich nochmal auf. Alles ruhig. Alles dunkel. Mein Rücken nass, der Schlaf dahin. (kla)
  • Die Lautsprecherstimme, die auf dem S-Bahnhof Prenzlauer Allee alle fünf Minuten durchsagt: "Die S-Bahn ist vom Streik der GdL betroffen", und das 'betroffen' so ausspricht, als würde die S-Bahn todtraurig darüber sein. (angro)
  • Postkarte Köln, 26.08.21: Der moderne Missionar vor dem Dom stellt die wirklich wichtige Frage im Leben: "Warum müssen wir überhaupt sterben?" (sk)
  • Bahnhof Görlitz: Zum Abschied winkt die Dame am Bahnsteig mit der OP-Maske. (neri)
  • Das Frostschutzmittel, das nach unzähligen Versuchen den klebenden Lindensaft von der Windschutzscheibe zu wischen, leer ist. Und die Scheibe, die jetzt undurchsichtiger ist als zuvor. (sk)  
  • Die beiden Reinigungskräfte, die am Rand der Arena in den Marzahner Gärten der Welt, während der Vorstellung von Constanza Macras Tanzstück Stages of Crisis lautstark wie Radioreporter das Spiel der beiden nackten Tänzerinnen kommentieren, bis die Abendregie sie in die Katakomben verweist. (angro)
  • Brauche Raum zum Denken. Links und rechts von der Straße sind Berge, teils schneebedeckt, teils bewaldet. Ich brauche Orte, an denen ich nichts muss. An denen Zeit nicht rennt, sondern sich entfaltet. Momente, in denen alles fern scheint, der Kopf nicht dem Zwang unterliegt, in To-Do’s zu denken, sondern sich traut, sich gehen zu lassen. (kla)
  • Der Wind fährt durch die Blätter des Baumes vor meinem Fenster. Raschelnd werden sie zerzaust, bevor der Luftzug an mir vorbei streicht und durch die geöffnete Tür in die Küche und dort wieder ins Freie entweicht. (sei)
  • Ich wohne in einer belebten Straße. Wenn Samstagnacht um 2.30 Uhr 80er-Hits mitgegrölt werden, liege ich unschlüssig in meinem Bett: Ohrstöpsel rein oder runter und mittanzen? (sk)
  • Erst verstand ich nicht, warum sich ein Blatt meiner Aloe Vera fast im rechten Winkel über die Pflanze gelegt hatte. Dann sah ich den Trieb und erkannte: Das Blatt spendet dem Nachwuchs Schatten und schützt das junge Grün so vor der Sonne. (sei)
  • Ab 7.05 Uhr kriechen Sonnenstrahlen die gegenüberliegende Hauswand entlang. Um 7.30 Uhr erreichen sie das Küchenfenster meiner Nachbarn. Dann leuchten im verheißungsvollem Licht vier Buchstaben: ACAB. (sk)
  • Ist Glück die Währung unserer Zeit, oder ist Zeit die Währung unserer Zeit? (kla)
  • Inhalt der Campus-Tüte für Berlin: 3x Wasser mit Koffein, 2x Müsli-Riegel mit Koffein. 1x Kaffee Latte. 2x Energy-Drink. 2x Kaffee Shot extra stark. 2x Mate-Teegetränk. 2x Power-Kapseln mit Koffein, Eisen und Vitaminen. Man scheint anzunehmen, Berliner Studenten seien extrem müde. (sei)
  • Fischbrötchen! Wir müssen Fischbrötchen essen. Und sie dann festhalten, damit diebische Möwen sie uns nicht aus den Händen reißen. Fischbrötchen muss man essen, wenn man an der Ostsee ist. Aber: Bismarckhering? Brathering oder Matjes? Keine Ahnung. Hauptsache Fischbrötchen. (sk)
  • Eine Frau, die vom Platzregen überrascht wurde und zu der neben ihr unter dem Dach des Kassenbereiches des Humboldthain-Bades Stehenden sagt: "Da müssen wir wohl durch den Regen zum Becken kraulen", und die andere, die antwortet: "Aber nicht in Anziehsachen." (angro)
  • Die Taste für die Null ist schon seit drei Jahren wegen einer Milchkaffee-Überschwemmung defekt. Hätte auch nie gedacht, dass ich so lange ohne sie auskomme und frage mich echt, wie viel Zeit ich ohne das Copy und Paste gespart hätte. (vm)
  • Sechs Jugendliche, die zwischen zwei Blitzen und schnell nachfolgendem Donner im Zickzack bei Rot über die Kreuzung Schönhauser Allee / Schwedter Straße in Richtung Hostel flitzen. (angro)  
  • Der sonst so trockene Nadelwald, der nach dem Landregen dampft wie der Amazonas. (vm)
  • Wenn uns jetzt jemand beim Labern aufnehmen würde! – Und dann sieht das Kim Jong Un in einer Fernsehshow! – Dann stellt sich raus, dass das eigentlich eine südkoreanische Prank-Show ist! – Aber mit dem wirklichen Video von uns jetzt! – Das erzählst du beim Lagerfeuer Leuten, bis sie’s glauben, und das filmen wir! – Und das bieten wir dem südkoreanischen TV als Show an! – Ich glaub, jetzt sind wir museumsreif. (neri)
  • Seit eineinhalb Jahren im Home Office. Das erste Mal wieder zusammenarbeiten mit dem Kollegen André. Er war zwei Wochen im Malle-Urlaub. "Hey André! Lange nicht 'gesehen' (geschrieben)!", tippe ich in den Chat. Was für eine dämliche Aussage, denke ich, und drücke auf Enter. (cn)
  • Der ICE hat sich auf dem Weg von Göttingen nach Berlin verfahren. "Wir wurden fehlgeleitet", erklärt der Zugführer beschwichtigend. Das Wo und Wie und Wann verschwindet im Geknister. Auch egal. Aussteigen müssen wir trotzdem. (als)
  • Stress, das ist: ein schmerzendes, wummerndes Ohr in der U-Bahn. Verrückt viel geschafft zu haben: kein Trost. (neri)
  • Dinge, die ich vor kurzem mit Youtube-Videos gelernt habe: Haare schneiden, Fahrradreifen flicken, abgerissene Raufasertapete reparieren. (cn)
  • Das Trio, das fachsimpelnd um den roten Porsche Carrera steht, sich mit Reparatur-Vorschlägen übertrumpft, um schließlich den abgefahrenen Seitenspiegel großzügig mit Klebeband zu umwickeln. (als)
  • Die Frau mit den gold angemalten Stahlkappenschuhen, die dem um eine Spende bittenden Mann als einzige im S-Bahn-Waggon eine Münze reicht, nicht ohne ihn zu mahnen: "Aber nicht für Drogen ausgeben, ich weiß, wovon ich rede." (angro)
  • "Einen Chicken-Teller zum Mitnehmen." – "4,20 € bitte." – "Da sind auch Falafel und so drauf, oder?" – "Nein. Ist ja ein Chicken-Teller. Chicken-Falafel-Teller kostet 4,80 €." – "Mhm … mhm … OK." (sk)
  • Die Mitbewohner, die sich für eine zweiwöchige Radtour verabschieden und vier Tage später wieder im Wohnzimmer stehen. (sk)
  • Gartencenter Der Holländer am Treptower Park: 28 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit – die perfekten Lebensbedingungen für die tropischen Raritäten. Philodendron verrucosum oder Anthurium clarinervium sind normalerweise im dichten Regenwald beheimatet. Doch diese Exemplare schaffen es höchstens in den Urban Jungle. (cn)
  • Wieso gibt es immer noch Männer, die mich und meine Kommiliton*innen "Mädels" nennen? (sk)
  • Erst zwei, dann drei quirlige Eichhörnchen, die wie ein Wirbelsturm um den Baum herumjagen und sich gegenseitig ihre Haselnüsse abspenstig machen. (vm)
  • Das finale Tor, die Straße jubelt, ein Feuerwerkskörper wird gezündet. Der Nachbar brüllt vom Balkon: "OK, gut jetzt, geht nach Hause, wir müssen schlafen!" (sk)  
  • Ich erinnere mich an Querflöten, an diskussionsfreudige Seminare mit verkaterten Kommiliton*innen. An die nach Kotze riechenden Früchte des Gingkos in der Spichernstraße. An die Tränen, die ich zurückhielt, an die Unsicherheit. An Erfolge. An die kleine Mensa mit den freundlichen Frauen und an das mediokre Essen dort. An Russland, an meine Trennung. An die Weihnachtsfeier mit zu viel Glühwein. (kla)
  • Drei junge Männer, die rauchend im Garten des Joseph‘s in der Bundesallee sitzen und über ihre Krankheiten (Rücken, Rücken, Knie) und Kritiken über ihre Arbeit reden, wobei Physiotherapeut*innen und Journalist*innen nicht sehr gut wegkommen. (angro)  
  • Hätte ich meinem Zukunfts-Ich geglaubt, wenn es mir im Oktober 2019 erzählt hätte, Kaffee hinter dem Joseph‘s schlürfend, dass nur ein halbes Jahr später eine globale Pandemie die Welt im Griff haben und die Uni dicht sein wird? (kla)  
  • "Einen Chicken-Teller zum Mitnehmen." – "4,20 € bitte." – "Da sind auch Falafel und so drauf, oder?" – "Nein. Ist ja ein Chicken-Teller. Chicken-Falafel-Teller kostet 4,80 €." – "Mhm … mhm … OK." (sk)
  • Wie sich Ausgeglichenheit anfühlt? Wie der Duft von Jasmin. Wie schwimmen in einem langen See, der umringt von Wald ist, gleichwarm wie die Luft und später am Tag still ist und die Bäume um ihn herum spiegelt. Wie ein Tag, an dem negative Gedanken keine Zeit hatten, um vorbeizuschauen. Wie tief ins Lagerfeuer blicken. Wie trockener, italienischer Rotwein. (kla)
  • Strand, Tunnel, Wintergarten: Sisyphos ist voll. Telleraugen, bunte Onesies, Ganzrückentattoos. Intensives Rumknutschen auf der Tanzfläche. Unter den Toilettentüren gucken mehr als zwei Füße raus. Die DJane bekommt fünf Minuten Applaus. Nach vier Stunden Tanzen sind Beine und Kopf so müde wie früher nach vier Tagen. (neri)
  • Plötzlich sind da wieder fremde Menschen, die mich zur Begrüßung umarmen. Luft wird angehalten, mein Rücken verkrampft sich. Dann wird mir ins Ohr geflüstert: "Ich bin doppelt geimpft und negativ getestet." (sk)
  • "You basically live here", sagte mir ein Freund in Abisko im Februar. Auf der Straße lag eine dicke Eisschicht, die Berge waren bedeckt mit Schnee. Mit "here" meinte er Schweden. Ich winkte lachend ab, schrieb den Satz in meinen Kalender und vergaß ihn dann. Einige Monate später finde ich die Worte beim Blättern wieder. Er hat Recht behalten. Ich bin noch hier, der Schnee mittlerweile weg. (kla)
  • Der Saxophonist entledigt sich mitten im Konzert seiner Schuhe, um dann, berauscht von der Musik, auf Socken über die Bühne zu wirbeln. Der Trompeter schaut erst skeptisch, dann macht er mit. (als)
  • Die alte Frau, die im Eisenhüttenstädter Bus 454 sitzt und zu ihrer Sitznachbarin sagt: "Mein Telefon ist von ausländischen Mächten gekapert worden, ich fahre jetzt zur Polizei, um mich zu beschweren. Das geht doch nicht." (angro)
  • Das Amselpärchen, das im Frühjahr in das rote Vogelhaus an der Kiefer eingezogen ist und sich nach kurzem Ausmisten des neuen Apartments schnell einleben konnte, hat jetzt Nachwuchs bekommen. (vm)
  • In der Krone des Kirschbaums wird sich die Erntende der Endlichkeit bewusst: weniger der des Seins als der der Arme. (als)  
  • Die Achtjährige, die auf dem Teutoburger Platz zu einem Gleichaltrigen sagt: "Komm, lass uns Sterben üben.“ (angro)
  • Alles gestapelt. Beim Stapeln keine Zeit gelassen, deswegen wackelt alles. So viele kleine Aufgaben, die wie Push-Nachrichten immer wieder die Gedanken aus dem Rythmus reißen, der eigentlich gut für sie wäre. (kla)
  • „Wir können nicht wissen, wie das war. Deswegen kann ich meine Eltern nicht verurteilen“ murmelt mein Großvater. (sk)
  • Die Moskitostiche auf den Füßen, die die dort dünne Haut mit roten Pusteln übersäen, mal jucken, mal schmerzen, sich immer wieder melden und nicht abheilen wollen. (kla)
  • Hasbergen, Natrup-Hagen, Lengerich, Kattenvenne, Ost- und Westbevern – die Namen der Orte, die Mensch durchquert, wenn er mit der Regionalbahn von Osnabrück nach Münster fährt, klingen nicht so, als sollte er sie durchqueren, wenn er dort ankommen will. (als)
  • Die ersehnte Einladung im Mailpostfach, deren Ankunft so viel Panik auslöst, dass die Freude untergeht. (sk)
  • Er, mit abgewetzter Cargohose und Stoppelbart, balanciert auf dem Geländer der Admiralbrücke. “Spring doch!”, ruft der Typ im Schlauchboot unten: “Entweder das wird ne Gaudi oder mein Boot geht kaputt! Win-Win für dich, Junge!” “Komm näher”, ruft der Stoppelbärtige. Die Leute filmen und er klettert doch wieder runter. “Will noch jemand?!” ruft es vom Schlauchboot hoch. (neri)
  • Der Sonnenstrahl, der es trotz des fast schwarzen Vorhangs schafft, hier und dort durchzublitzen und einen bereits um 4.45 Uhr wachrüttelt, um "Guten Morgen" zu sagen. (vm)
  • Postkarte Göteborg: Diese Zeit kurz vor dem Mittsommerfest, in der die vielen Girlanden mit kleinen schwedischen Flaggen daran in den Schaufenstern aufgehängt werden und das Nationbranding mal wieder etwas aus dem Ruder läuft. (vm)
  • Zoom International: Die Vögel auf meinem Balkon sind bis London zu hören. (angro)
  • Quarks sind Bausteine der Materie. Niemand hat sie je gesehen, aber sie haben Namen: Up-, Down-, Strange-, Charm-, Bottom- und Top-Quark. (sk)
  • Der moppelige, zottelige, zwölfjährige Deutsche Wachtelhund, der misstrauisch aufs Meer blickt, eigentlich nicht nass werden möchte, dann doch seinem Jagdtrieb nachgibt, zum im Wasser treibenden Stöckchen schwimmt und es schwanzwedelnd ans Ufer zurückbringt. (kla)
  • Im Baum tropft der Badeanzug, vor den Füßen schwappt der See. In der Hängematte turnen zwei Kinder – an den Armen Schwimmflügel, im Gesicht Schokoladeneis. Im Wasser taucht ein Schwimmer nach seiner Brille, eine besonders Sportliche zieht eine Boje hinter sich her. Rundherum sonnenträges Gemurmel, manchmal Kreischen, Platschen, Lachen. Sommer. (als)
  • "Würden Sie Fisch aus Berlin essen?" – "Nein." – "Wieso nicht?" – "Weil ich keinen Fisch mag." (neri)
  • "Na ist doch schön, wieder drinsitzen zu dürfen", sagt die Kellnerin im Anglerheim zu einem alten Mann, dem sie gerade das Bier gebracht hat. "Man wird ja ooch von Mal zu Mal dankbarer." (angro)
  • Viel aufgestaut, eingesammelt, mitgenommen. Könnte überall sein, bin nirgendwo. Stecke in Gedanken fest. Verknote mich in Diskussionen. Lasse mich ablenken. Die Weltenwandlerin wankt, weiß gerade nicht mehr, in welche Richtung sie eigentlich wollte. (kla)
  • Postkarte Göteborg: Die Möwe, die bei Windstärke 10 mühelos zwischen den Masten den Segelyachten hindurchgleitet und nicht ein einziges Mal mit den Flügeln schlagen muss, um vorwärts zu kommen. (vm)
  • Die Frage, die ich nicht verstehe, dann als Kompliment lese, das es dann aber doch nicht ist. (sk)
  • Ich beende das Telefonat mit meinem besten Freund, der in Düsseldorf sitzt, klicke auf die YouTube-App auf dem Smartphone, sehe auf dem kleinen Bildschirm, wie mein ehemaliger Chef, meine jetzige Vorgesetzte und meine Dozentin in Berlin über die Wahlen in Sachsen-Anhalt diskutieren und dann, wie mein Mitbewohner samt Freundin mit LSD-Tellern in den Augen zur Küchentür in Uppsala reinkommt. (kla)
  • Die Gagarin-Bar am Wasserturm in Prenzlauer Berg, die für immer in den Weltraum geflogen ist und der Mann, der im Vorübergehen sagt: "Ohne Juri ist es endgültig Schnöselhausen hier." (angro)
  • Veränderungen vollzogen sich, ohne dass ich sie merkte. Ich war zu beschäftigt. Tanzte, torkelte, trank. Lief durch Wälder. Über schneebedeckte Landschaften und knisternde Blätter. Schrieb und sprach. Stieg in Züge. Ließ Natur und Sonnenuntergänge wie Filme an mir vorbeiziehen. (kla)  
  • Die tote Taube, die auf der baufertigen Dachterrasse zwischen Dachvlies und einem vergessenen Eisbecher liegt: ihre Flügel verrenkt, der Kopf zur Seite gedreht, ihr Torso zerfressen bis auf die dünne Wirbelsäule. (sk)
  • Nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch abends noch spontan zur Entspannung die Küche samt Ofen, Abzugshaube und Kühlschrank putzen. I think it’s a Putzfimmel. (cn)  
  • Krypto-Sprech II: 10x, 100x, 1000x, Crash, Korrektur, Ponzi-System, Whitepaper, Paper Hands, Diamond Hands, Rug Pull, Satoshi, Vitalik, Gas Fees, Ecosystem, FUD, FOMO, DYOR, Wallet, Seed Phrase. (kla)
  • Postkarte Sophienfriedhof II: Die mit Kastanienblüten übersäte eineinhalb Quadratmeter große Grabplatte des Nihilisten Max Stirner, auf die 28 Jahre lang der Schatten der Hinterlandmauer fiel. (angro)  
  • Die Schlange vor der Eispatisserie in einer belebten Straße in Prenzlauer Berg, in der sich die Wartenden auf die Lieblingssorte Ziegenkäse-Schoko-Rosmarin freuen. (vm)
  • Auf dem Tisch eine Tasse Milchkaffee und ein Buttercroissant. Ich zücke mein Handy, mache Fotos und öffne Instagram, um mein Frühstück mit der Welt zu teilen. Die lang ersehnte Öffnung der Außengastronomie hat mich zu einer Foodbloggerin transformiert. Verdammt. (sk)  
  • Ausbeute der großen Entrümpelungsaktion der (Schatz)kammer: eine alte, intakte Schreibmaschine, ein schwarzer Marmoraschenbecher, 10 Rollen Geschenkpapier, eine Sprudelbadmaschine für die Badewanne und ein Aktenvernichter. (cn)  
  • Du sagst, wir haben nicht drüber geredet, obwohl wir’s verabredet haben. Deine Stimme bricht. Ich antworte nicht. (neri)
  • Der am 1. Mai angezündete Transporter, der noch drei Wochen später als Graffiti-Ausstellung und Fotokulisse dient und dessen kaputte Teile Leute zu Mitbringseln, zu Berlin- oder Krawall-Souvenirs machen. (neri)
  • Humboldthain, 18.50 Uhr, Luft 10 Grad Celsius: In Ermangelung übermütiger Nichtschwimmerinnen und Vonderseitespringer unterhalten sich die beiden Rettungsschwimmer am Beckenrand spazierend übers Klima. Hin: Die Städte müssen viel grüner werden. Zurück: Wir werden hier noch unter Palmen liegen. (angro)
  • In der Hofdurchfahrt schreit ein Mann. Im Innenhof öffnen sich die Fenster, Nachbarïnnen gucken raus. Gespräch zwischen allen: Seht ihr was? Ist nichts Schlimmes, oder? Dann schließen sich die Fenster wieder. Sollte man öfter machen. (neri)
  • Fahrradfahren auf dem Oderdeich, dem Todeswerk der Kriegsgefangenen vor 80 Jahren. Ein Schild am Zaun befiehlt "Maske ab – Hirn an!" Und am Deichfuß rastende Kraniche fliehen mit weiten Schwingen vor den Menschen. (neri)
  • Die junge Frau, die auf dem Weg zum Sowjetischen Ehrenmal am Rand der Soldatengräber kurz Rast machen muss, um ihre Stöckelschuhe auszuziehen und die blutenden Stellen am Hacken des rechten Fußes provisorisch mit Papiertaschentüchern zu verarzten(angro)  
  • Das schwarze, zerkratzte, verrostete Fahrrad mit platten Reifen, das nach der ewigen Winterpause ein wohlverdientes Umstyling bekommt und endlich wieder den Asphalt der Berliner Straßen spüren darf. (cn)  
  • Das dumpfe Dröhnen eines Propellerflugzeugs am strahlend blauen Himmel über Berlin: Ein Sommergeräusch. (vm)
  • Wie sich eine Astrazeneca-Impfung anfühlt? Erst Piks, dann Paranoia, am Ende alles prima. (neri)
  • Unter den Zierkirschen am Mauerweg lachen schöne Frauen verbissen natürlich in Kameras. In den Händen dicke Sträuße rosa leuchtender Blüten. Mütter, Freundinnen und Boyfriends halten drauf. #cherryblossom #springvibes. (als)
  • Gar nicht so einfach, die richtige Menge aus dem hinteren Rachen in das Plastikröhrchen zu husten. Der Speichel zieht Fäden, ist voller Luftbläschen und weigert sich, nach unten zu tropfen. Ich klopfe, schüttle und rotze – viel zu viel, aber schlussendlich glücklich negativ. (sk)  
  • Anfangs war es ein einziges monogames Taubenpärchen, das in der großen Linde im Hof ihr Domizil gefunden hatte. Inzwischen kommen jedes Jahr immer neue Tauben dazu und feiern mit dem Pärchen wilde Taubenpartys, bis die Federn fliegen. (vm)
  • Aschgrau, Regengrau, Stahlgrau, Taubengrau, Granitgrau – da ein Sonnenstrahl, dann Silbergrau. (sk)
  • Cornflakes essen. Also die leere Cornflakes-Tüte in den Müll, doch im Eimer kein Beutel. Aus der Schublade eine große Plastiktüte, darin aber Kümmelkrümel. Im Biomüll auch keine Tüte. Papiertüte aus dem Regal, darin zwei Brötchentüten; Kopf schwirrt. Dann Papiertüte in den Biomülleimer, Kümmel in die Papiertüte, Plastiktüte in den Plastikmülleimer, Cornflakes-Tüte in den Plastikmüll. Die Cornflakes längst vergessen. (neri)
  • Der Mitte 50-jährige Busfahrer der Linie 20 von Ersnäs nach Luleå, der fragt, wo ich herkomme und mir, als ich antworte: "Aus Deutschland, studiere in Berlin", stolz erzählt, dass er mal betrunken am ersten Türsteher im Berghain vorbeigetorkelt ist, von einem zweiten rausbefördert wurde und daraufhin in seinem Auto den Rausch ausgeschlafen hat. (kla)  
  • Der nicht mehr ganz junge, langhaarige Mann mit einer schon etwas abgegriffenen Lage Obdachlosenzeitungen im Arm, der kurz vor dem Abfahrtszeichen in die Ringbahn springt, sich in die Ecke an der Tür hockt und laut und heftig zu weinen anfängt. (angro)
  • Sonntag auf dem Falkplatz: Die beiden Bärtigen verhauen sich mit einer solchen Ernsthaftigkeit mit Poolnudeln, dass selbst der am Baum angeleinte Dackel skeptisch den Kopf zur Seite neigt. (als)
  • Krypto-Sprech: Rug Pull, ATH (All-Time High), HOLD (Hold On for Dear Life), Altcoin, Shitcoin, Bitcoin, Meme Coins, Swap, Doge, pump and dump, Elon Musk, bullish, bearish, dumping, pumping, To the Moon!, DeFi (Decentralized Finance), Bull-Market, Bear-Market, Whale. (kla)
  • Samstagabend: Die Leute spielen Fifa. Sie trinken, bis der Alkohol alle ist. Dann kiffen sie, bis sie vergessen, in welcher Richtung das gegnerische Tor steht. Fußball ist ihr Leben, da kann Schalke absteigen, wie es will. (neri)
  • Der alte Schornstein in der Küche mit seiner offenen Klappe, die die Geräusche und Gerüche des Hauses in den Etagen verteilt: Das befehlende "Idti Sjuda" des Nachbarn in der Zweiten, der vom Home Schooling genervt ist, oder den beißenden Geruch des Bratens von denen in der Vierten, der gerade im Herd verbrennt. (angro)
  • Was, wenn das Eis bricht und ich nicht einbreche? Was, wenn die Möglichkeit von brechendem Eis mir solche Angst macht, dass sie das Brechen mit aller Kraft verhindert? Um dann nie zu erfahren, dass darunter kein verschlingender See, sondern fruchtbarer Boden ist. (kla)  
  • "Hundert Prozent kommt das morgen an", versichert der Filial-Mitarbeiter. Neben ihm hinter dem Tresen ein Junge mit Smartphone. "Nicht spielen, nur lernen!", ruft der Mann und nimmt Geld für den Brief an. Zwei Männer kommen zur Tür herein. "Bitte, eine Minute", sagt ihnen der Angestellte, und: "Nächstes Mal mit Maske!" Mit der Hand weist er sie aus dem Laden. Die beiden Männer verziehen sich, und der Junge spielt weiter. (neri)  
  • Die Weben in den Ecken der Gartenlaube, in denen große und kleine Spinnen über den langen Winter ein Zuhause fanden, und die jetzt beim Frühjahrsputz wie jedes Jahr am Handfeger kleben. (vm)
  • "Hier, Ihr Corona", sagt die Verkäuferin. Die Angesprochene zuckt zusammen, alle im Umkreis von zehn Metern wenden sich ihr zu. Die Verkäuferin schiebt ihr lachend das Sixpack Corona-Bier zu. "Der Witz klappt immer." (angro)
  • "Darf der das?", fragt die junge Frau, während sie zunehmend hektisch versucht, den schlappohrigen Welpen davon abzuhalten, sich ein großes Büschel Löwenzahn einzuverleiben. "Ich mein, wieso frisst der das überhaupt? Er ist ein Hund?!" (als)
  • Das Dreiergespann im Park erörtert, am fein gedeckten Klapptisch gepuderte Blaubeermuffins verspeisend, die neuesten Geschehnisse in der Nachbarschaft. "Also ich sach mal so", setzt die eine an. Der Rest des Satzes verschwindet im Gekicher. (als)  
  • Der junge Mann mit dem Kinderwagen, in den Ohren Kopfhörer, fuchtelt, offenbar in eine hitzige Diskussion verwickelt, wild mit der Spielzeugpistole in seiner Rechten. Das Baby ratzt unbeeindruckt weiter. (als)
  • Die Katze, die eigentlich bei der Familie im ersten Stock wohnt, jetzt aber wie jedes Frühjahr ihre Sommerresidenz, eine kleine Hütte im Hinterhof, bezogen hat. Dort liegt sie auf dem Dach und genießt die ersten warmen Sonnenstrahlen. (vm)  
  • Postkarte aus Burg-Kolonie im Spreewald: Am Uferrand sitzt ein Pelzbüschel und stopft sich mit seiner ledrigen Kralle Schilf zwischen die Schneidezähne. Ist das ein Biber oder Nutria? Hauptsache sorgenfrei. (neri)
  • Abgesehen von Uni-Kram stehen nur zwei Dinge auf meiner To-Do-Liste: 1. Negative vom Fotolabor abholen, denn die Zweimonatsfrist, bevor sie weggeschmissen werden, läuft bald ab. 2. Kleiderschrank ausmisten. Mir gehen die Bügel aus. (cn)
  • Das Baby, das lachend mit Breiresten auf den Bäckchen zur Technomusik tanzt, bis der Hund kommt, mit feuchter Zunge das kleine Gesichtchen putzt und schließlich mit großen Augen und schwanzwedelnd seinen Schützling anschaut. (lip)
  • Der Fotoautomat auf der Bernauer Straße, einen Meter neben dem in den Gehweg eingelassenen Gedenkstein für die hier am 20. August 1961 aus einem inzwischen unsichtbaren Haus vergeblich in den Westen gesprungene Ida Siekmann, der viel zu grobkörnige Schwarzweißbilder macht. (angro)
  • Die Frau, die vor dem mattgraulackierten Eisentor steht, und beharrlich den Klingelknopf drückt – vergeblich. Links daneben spottet das Bild einer überlebensgroßen Dartscheibe mit den Worten: "Komm rein! Spiel mit!" (sk)
  • Simon-Dach-Straße, vor einer Bar ein Dixi-Klo, worin bärtige Männer sich maskenlos erleichtern. Als ob ein Virus nicht auch mal für große Jungs müsste. (neri)
  • Der ältere Herr, der sich zur Vorbereitung für das Interview mit unzähligen Dokumenten, Briefen, Urkunden und Verträgen eingedeckt hat, damit er auch jedes Ereignis der letzten 75 Jahre jedem Datum zuordnen kann. Er konnte es dann auch ohne die Gedankenstützen. (vm)
  • Das Abhauen hilft, weil es mich daran erinnert, dass Veränderung möglich ist. Weil ich manchmal gehen muss, um das zu erkennen, was ich lange nicht erkennen konnte: Veränderung ist nicht nur möglich, sondern eine zu akzeptierende Konstante. Einmal angenommen, kann sie zu einer guten Freundin werden, die weiß, wie man sich vom Dreck der Vergangenheit befreit. (kla)
  • Quelltexte lesen, Python schreiben, GPG nutzen, sich im VPN von Tor zu Tor hinter einer Firewall bewegen – welche Fähigkeiten muss man beherrschen, welchen Weg gehen, um in der digitalen Welt weiter bestehen zu können? Wer beantwortet mir diese Fragen? (sei)
  • Auf Pappschildern steht: "Stop asian hate" und "We are not exotic, we are exhausted". Vor dem Brandenburger Tor versammeln sich Angehörige der asiatischen Diaspora und Verbündete. Trotz Maske und Abstand eng verbunden. Solidarität und Gemeinschaft – fast schon vergessen, wie sich das anfühlt. (cn)
  • Husemannstraße, 13.25 Uhr: Die schwangere Frau, die sich mit beiden Händen über den Bauch streicht und zu ihrer Freundin gewandt sagt: "Das geht ganz schnell, dass die Plazenta verkalkt." (angro)
  • Der angenehm brennende Superfood-Ingwershot mit Kurkuma und Limettensaft, den ich mir jeden Morgen für einen maximalen Immunsystem-Boost die Speiseröhre herunterjage. (cn)
  • Mein Blick, der mehrmals am Tag ungeduldig durchs Wohnzimmer wandert und jeden einzelnen Quadratmillimeter jeden einzelnen Blattes jeder einzelnen Pflanze in der Hoffnung mustert, deren Wachstum stündlich zu erfassen. Vergeblich. Ob das den Pflanzen zu aufdringlich ist und sie deswegen rebellieren? (gr)  
  • Draußen -6 Grad, drinnen 70 Grad. Okay, ich mache das jetzt. Nicht drüber nachdenken. Tief durchatmen. Dann schnell raus. Der Schnee ist weich und pudrig, unter mir schmilzt er weg. Jetzt tief atmen. Nicht an die Kälte denken. Augen zu. Dann auf. Auf die Sterne konzentrieren, den dunkelblauen Himmel. Weiteratmen. Für ein, zwei Minuten. Dann wieder rein. In der Sauna mit Gänsehaut. (kla)
  • Feine Zitronenschale in Butter dünsten, bissfeste Spaghetti mit etwas Kochwasser und Zitronensaft hinzufügen, simmern lassen. Parmesan und schwarzen Pfeffer drüber – riecht und schmeckt nach Sommerurlaub an der Amalfiküste. (sk)  
  • Postkarte aus Schönholz bei Ohnewitz und Neuwerder: Anders ticken hier die Uhren und Füchse sagen den Hasen gute Nacht. Dann werden die Bürgersteige hochgeklappt, das Licht wird gelöscht und am Firmament erscheint die Milchstraße. Nur am Horizont glüht stets Berlin wie ein Feuer. (sei)  
  • Schönholz bei Ohnewitz und Neuwerder
  • Der alte Mann, der zum ersten Mal bei Zoom ist und resümiert: "Jetzt weiß ich auch, warum die immer alle so hässlich aussehen bei den Videokonferenzen, die gehen viel zu nah an die Kamera ran. Ich habe mich etwas nach hinten gesetzt und ich fand, ich sah richtig gut aus." (angro)
  • Der Turm der Sophienkirche, den ich von meinem Fenster aus sehen kann, bekommt seinen alljährlichen Frühjahrsputz, und das grüne Dach mit den goldenen Ornamenten wird von oben bis unten abgeduscht und geschrubbt. (vm)
  • Die Yogamatte, die blau-marmoriert eine erhöhte Rutschfestigkeit im herabschauenden Hund verspricht und enthusiastisch aus ihrer Verpackung gezerrt wird, um dann tagelang einsam im Wohnzimmer rumzuhängen, weil sie "auslüften muss". (sk)
  • Knallrot, scharf, süß und salzig – das ist Kimchi. Koreanischer fermentierter Kohl, der in gestapelten Tupperdosen seit gestern in der Küche vor sich hin gärt. Säuerliches Knoblaucharoma liegt in der Luft. Noch weitere 24 Stunden, dann ist das Kimchi reif. (cn)
  • Wegen gestern weiß ich heute nicht, was ich schreiben soll. Versuche es morgen wieder. (kla)  
  • Das Wohnzimmerregal, das neu geordnet und staubbefreit glänzt, bis es wieder zur WG-Müllhalde mutiert. (sk)
  • Samstagabend, ich sitze auf dem großen Schreibtischstuhl in meinem ehemaligen Kinderzimmer, über meinen Bildschirm fliegen mir unbekannte, tanzende Menschen. Ich wackle vorsichtig zum Beat mit dem Kopf. (lip)
  • Die Schaffnerin im Airport-Express, die fünf Monate nach Eröffnung immer noch als nächste Station den Flughafen Schönefeld ansagt, anstatt den BER anzukündigen, weswegen die griechische Reisegruppe statt Flughafen nur Bahnhof versteht. (vm)  
  • Ab sieben Uhr hämmert und bohrt es so laut, dass der Boden schwingt. Letzte Woche haben sie neue Kabel im Treppenhaus verlegt und mit den Lichtschaltern hinter Gipsplatten versteckt. Die Glühbirnen brennen jetzt auch nachts. (sk)
  • Freitagabend, Haltestelle der M10 (Ex-Partybahn) Landsberger Allee/Danziger Straße: Zwei junge Männer sitzen auf der Bank neben dem Haltestellenschild, trinken Bier und reden auf Englisch über Sex. Als die Bahn kommt, steigen sie nicht ein. (angro)
  • Jeden Tag glitzern und tänzeln sie im Sonnenschein. Vom Alexanderplatz wurden sie in mein Zimmer gewirbelt oder reisten wohl sogar aus der Sahara zu mir. Winzig kleine Staubkörner ruhen nun auf Tisch, Boden und Zimmerpflanzen. Ich muss wieder staubsaugen. (cn)  
  • "PM-Was?" – "PMS – kurz für 'prämenstruelles Syndrom'. Bei mir sind das Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen, Heißhunger und eine erhöhte Reizbarkeit in den Tagen vor meiner Monatsblutung." – "Ach, das kenn ich auch. Aber bei mir ist das kein Syndrom, sondern normal." (sk)  
  • Postkarte aus Luleå, Schweden: Die Luft da draußen ist eisig kalt und die Sonne, deren Strahlen sich ihren Weg durch den emporsteigenden Eisnebel bahnen, lässt die polare Schnee-Szenerie glitzern und blitzen. So sieht der schönste Winter aus. (vm)
  • Die beiden Skater, die dicht hintereinander, die Arme auf dem Rücken verschränkt und leicht vorgebeugt, in vollendeter Symmetrie durch die Oderlandschaft gleiten. (angro)
  • Das extra lange Wattestäbchen wackelt Richtung Augapfel, biegt dann ab und drückt auf meinen Tränensack. "Aha – wenn ich hier drücke, läuft das Sekret ab. Ihr Auge ist gar nicht entzündet, nur der Abfluss ist verstopft." (sk)  
  • Smyrna Presto international. Swiss made. Teppich Knüpf Garnitur. Bruxelles: Goldmedaille, Oscar der Erfindungen. New York: Goldmedaille, 1er Preis. Eine manikürte Hand mit rotlackierten Nägeln hält das Gerät. Es erinnert an die Hand des Mörders mit dem Messer, bevor er zusticht. Ein faszinierendes Ding. Schade nur, dass die Anleitung fehlt. (sei)
  • Sehnsüchtig wandert mein Blick immer wieder vom Laptop zum Fenster, wo das herrlichste Frühlingswetter lockt. „Bald…“, denke ich mir, „bald hast du es geschafft!“, und versuche mich wieder auf den Inhalt des Textes zu konzentrieren, um zu verstehen, was ich lese. In der Küche rumpelt die Waschmaschine. (sei)
  • Gegen 17.45 Uhr schaue ich aus dem Fenster. Denn ich weiß, bald treten sie auf. Zunächst in kleinen Gruppen, die sich allmählich zu einer immer größer werdenden Wolke zusammenfügen. Irgendwann füllen sie das ganze Stück Himmel über mir. Dabei bilden sie höchst spektakuläre Choreographien – und scheitern nie daran. Ich schaue den Staren begeistert zu und spüre das Bedürfnis, zu applaudieren. (gr)
  • Menschen, temporär verbunden. Durch Zufälle – und einen Raum mit lila-pinken Wänden, den sie sich teilen. Sie haben Gemeinschaft kreiert. Flüchtig ist sie. Geprägt von Witzen, die nur sie verstehen. (kla)
  • Kleine grüne Negativfilmdosen, in denen Momente und Orte der letzten Monate gesammelt wurden, sind nun nummeriert und in eine Tüte eingepackt. Vorfreude auf das Wiedersehen mit den bereits vergessenen Erinnerungen. Heute gehts ins Labor. (cn)
  • Ein See. Ringsherum bedeckte Berge. Birkenholz. Es fängt an zu knistern. Feuer bahnt sich den Weg durch den Schnee. Blicke in den Himmel. Hell leuchtet der Mond, noch zwei Tage, dann ist er voll. (kla)
  • Der Frühjahrputz reaktiviert die Kopfrechenkünste: Die beiden großen Kastenfenster haben jeweils acht Scheiben. Macht 16. Plus jeweils vier von zwei kleineren Fenstern. Macht 24. Mal zwei – denn in der Reihe darüber warten 24 weitere, wenn auch kleinere Exemplare – macht 48 Scheiben. Ob Menschen, die von Altbau-Charme sprechen, wohl jemals die Fenster in einem solchen geputzt haben? (als)
  • Das Grab der Karschin, der ersten deutschen Dichterin, die von ihrer Arbeit leben konnte, das ich nach langem Suchen auf dem Sophienfriedhof in der Kirchenfassade zwischen zwei Barockfenstern finde und mich frage: Ist sie da drin? (angro)  
  • Ganz vorsichtig und jeden Tag ein bisschen weiter bahnt sich das neue Blatt seinen Weg aus dem Stiel der Pflanze ans Tageslicht. Grün und saftig ist es und sieht so aus, als wollte es sagen: "Hier bin ich und bringe den Frühling mit." (vm)  
  • Selbstquarantäne Tag 5: Eine Handwerkerin klopft energisch gegen meine Balkontür und lugt durch das von mir eingerissene kleine Loch der Plastikplane vor meinem Fenster. „Haben Sie das hier zerstört? Das geht nicht“, schimpft sie und klebt meine kleine Luke zur Außenwelt und frischer Luft penibel zu. (lip)  
  • An den Pfirsichblütenzweigen, die mir meine Mutter zum Mond-Neujahr geschenkt hat, sprießen Tag für Tag mehr zartrosa Blüten. Pfirsichblüten sollen böse Geister fernhalten. Etwas mehr als eine Woche läuft das Jahr des Wasserbüffels bereits und bisher gab es noch keine Anzeichen von Geistern – scheint also zu funktionieren. (cn)
  • Ein älterer Mann bleibt vor der Coronagedenkstätte mit den vielen roten Grablichtern unter dem Porphyrbecken des Stierbrunnens stehen und sagt verächtlich: „Denn sollte man ditt ooch rischtisch schreiben.“ Dann geht er ohne weitere Erklärung davon. (angro)
  • Knoblauch und frisches Basilikum in Olivenöl andünsten. Pizzatomaten aus der Dose hinzugeben, mit Wasser verdünnen und köcheln lassen. Altbackenes, würziges Brot in Stücke zupfen und unterrühren. Einige Minuten weitergaren lassen. Mit Salz abschmecken und mit Basilikum dekorieren. Genießen. (sei)  
  • Der Amateurfotograf mit der Profikamera, der seit über einer Stunde durch den Park stiefelt und umständlich hantierend jeden einzelnen Baum der Grünanlage ablichtet – im Schlepptau eine Frau, die, wann immer er sich wegdreht, genervt einen Blick auf ihre Armband Uhr wirft. "Ganz toll, Schatz." (als)  
  • Im gleichen Wagen ein Mitte 40-Jähriger: Er trägt Echthaar-Pelz, Sonnenbrille, dicke Ohrringe und keine Maske. In den lederbehandschuhten Fingern ein Rotkäppchen-Piccolöchen. (sk)  
  • Der IKEA-Bote, der Paket für Paket für Paket die Treppe hochschleppt und die im Treppenhaus drapierte Ware dann sorgfältig und von allen Seiten mit seinem Smartphone ablichtet. Ob unser neues Bett wohl auf seinem Instagram-Account landet oder es nur ein Beweisfoto ist? Man weiß es nicht. (vm)
  • Postkarte Abisko: Draußen wirbelt Wind den Pulverschnee herum. Wie weißer Rauch bewegt er sich über eisbedeckte Straßen. Auf den Augenbrauen Schneeflocken, die Nasenhaare gefroren, das Gesicht rot. Der Mund zu einem Lächeln geformt. Fingerkuppen kribbeln trotz zwei Paar Handschuhen. Manchmal rutsche ich noch aus, gerate ins Wanken, muss meine Balance finden. Doch falle ich nicht mehr so oft. (kla)
  • Der provokant breitbeinig dasitzende Mann, der in einer vollen S-Bahn lieber seine FFP-2-Maske zwischen seinen Fingern baumeln lässt, als sie im Gesicht zu tragen. (cn)
  • Es tropft und tropft und tropft von der vor Schnee nur so überquellenden Dachrinne über der Terrasse in die mit noch mehr Schnee gefüllte Dachrinne eins tiefer. Es taut. Ist denn der Winter schon vorbei? (vm)
  • Ein weißer, pelziger Flaum bedeckt fast die gesamte Oberfläche. An einigen Stellen ist er so dicht, dass die dunkle Erde darunter nicht mehr zu sehen ist. Dort strecken die ersten Champignons ihre winzigen Köpfchen empor. Ich verschließe das Anzuchtset wieder. Später werde ich nach Pilzrezepten googeln. (sei)
  • 9.28 Uhr, Obstabteilung bei Netto: Eine Mitarbeiterin mit großem Bodenwischgerät: "Ick müsste hier mal durch." Großer Satz in die Kühlabteilung. "Ick müsste hier mal bitte." Flüchte zu den Konserven. "Einmal Platz bitte." Rette mich zu den Kassen. Verfolgungsjagd im Netto. Beute: eine Hafermilch. (lms)
  • Die drei Kinder mit Jacken in blendenden Textmarkerfarben, die seit einer guten halben Stunde bei minus acht Grad unbeirrt mit ihren Körpern Schneeengel im Hof malen und anscheinend noch keine Erfrierungszeichen zeigen. (gr)
  • WG-Gespräche am Morgen nach dem Superbowl: "Gibt es nicht auch einen Schauspieler der Tom Brady heißt?" – "Ja, ich glaube schon." Nach mehreren Minuten Anschweigen und konzentriertem Googeln: "Ah, hier! An den habe ich gedacht." Ich halte ein Bild von dem britischen Schauspieler Tom Hardy hoch. "Genau den meinte ich. Die sehen ja auch irgendwie gleich aus." (cn)
  • Am Samstag verwandelt das bunte Licht die WG-Küche für eine Nacht in einen Club. Die Musik ist laut, die drei Bewohnerinnen tanzen ausgelassen und verbannen den kalten, tristen Corona-Winter zumindest für ein paar Stunden aus ihrer Realität. Die Hündin guckt erst irritiert, schließt sich dann aber bellend und schwanzwedelnd dem Gehüpfe an. Bis zehn vor zwölf der Nachbar vor der Tür steht. (lip)  
  • Wir suchen Windschutz hinter einer Backsteinmauer. Die Pappbecher schmelzen Ringe in den Schnee, während unsere klammen Finger Zigaretten drehen. Als wir weiterlaufen, ist der Milchschaumrand im Pappbecher nur noch Frozen Cappuccino. (sk)
  • Beim morgendlichen Blick in den Spiegel stellt nicht nur die draußen wartende Kälte, sondern auch die lockdownbedingte Frisur die drängende Frage, ob man eigentlich ein Mützengesicht hat. Besser wär’s. (als)
  • Der ältere Herr, der im Haus gegenüber wohnt und seit gestern Nachmittag fast ununterbrochen Schnee schippt, wegen der arktischen Verwehungen aber immer wieder von vorne anfangen muss, sobald er den Gehweg bis zum Ende der Hauswand freigeräumt hat. (vm)  
  • Greifswalder/ Ecke Danziger: Ein Paar um die 40 steigt aus der M4, der Mann hat seine Maske noch auf. Die Frau sagt: "Du kannst deinen Maulkorb jetzt abnehmen." Der Mann: "Fängst du jetzt auch schon so an?" (angro)
  • Blätter über Blätter. So viel Papier. Wo geht’s hier weiter? Was ist fertig? Was noch nicht? Was kann weg? Fragen über Fragen, die sich vor allem an den verhassten Montagen immer wieder aufs Neue stellen. Auszug aus dem Leben eines Jung-Journalisten. (vm)
  • Notizbuch vollgekritzelt. Kaffeetasse leer. Sonne hell. Haut unrein. Computer aufgeladen. Handy lädt. Küche verwüstet. Später aufräumen. Süße Schokomilch als Frühstück am Mittag. Aus dem Tetrapack, das zwischen Geschirrtuch und Bluetoothbox liegt. Aufstehen, zwei Schritte zum Wasserkocher. Zurück zum PC. Kocher zischt. Tippen. Aufstehen. Anderthalb Teelöffel Instantkaffee plus Hafermilch. Pause. (kla)  
  • Der Nachbar, der während ich ihm die Eingangstür offenhalte, gefühlt im Zeitlupentempo in meine Richtung bewegt und wenn er dann endlich vor mir steht, erklärt: "Den Schlüssel habe ich selber." (gr)  
  • Ich reiße meine abdunkelnden Vorhänge auf, um Sonnenlicht in mein Zimmer zu lassen. Meine Monstera Deliciosa, Pilea peperomioides und Zamioculcas werden es mir danken. Denn selbst auf der Südseite sind Sonnenstrahlen eine kostbare Rarität im Berliner Winter. (cn)
  • Die alte, zerbrechlich wirkende Dame, die bei Aldi mit einer "auf halb acht" hängenden FFP2-Maske am Kühlregal steht und sich mit geröteten Augen umschaut, bevor sie Richtung Kassen schlurft. (sei)  
  • Die Schneeanzüge schreien in den scheußlichsten Farben. Die Kinder auch – vor Glück. Johlend sausen sie die immer matschiger werdende Piste hinab. Auf Skiern, Holzschlitten und bunten Plastikbobs. Eines sogar auf einem Backblech. (als)  
  • Das dunkel gekleidete Paar, das nachts um zwei im Schneegestöber vor dem Planetarium eine Schneeballschlacht veranstaltet, während im Umkreis von zwanzig Metern ein Flaschensammler vergeblich in den Abfallbehältern sucht und ein Radfahrer wie in Zeitlupe vom Sattel rutscht. (angro)  
  • Kaufrausch? Frustkauf? Kaufzwang? Sind meine ständigen Käufe nur Ersatzbefriedigung für fehlende Freude, Erfüllung und Glück? Drei E-Mails verkünden, dass ich in den Auktionen heute die Lose mit dem sehr alten Wein, dem zeitgenössischen Kunstwerk und der Mineraliensammlung gewonnen habe und diese bezahlen möge. (sei)
  • "Saturday night, I feel the air ist getting hot", dröhnt es aus der Bluetooth-Box. Fingerfood steht auf dem Küchentisch. Diskolicht taucht den kleinen Raum abwechselnd in blau, grün und rot. Zu viert sitzen wir rum. WG-Party in Coronatimes nur mit Mitbewohnis. (lip)
  • Wir haben uns nicht viel zu sagen. Neues gibt es – nichts. Nicht mal über den Weg müssen wir uns abstimmen. Immer dieselbe Runde. Grau und matschig. Müll auf der Straße. Es nieselt – irgendwie immer. Spaziergang, du nervst. (lms)
  • Postkarte Stockholm, 16.01.21: Alles langsamer, besser, irgendwie intensiver. Mehr da in dieser gefühlten Utopie. Oft ausgerutscht, immer noch auf wackligen Beinen, doch nicht verletzt. Am Heilen. Denken funktioniert. Sorgen bestimmen nicht den Alltag. Sie schwirren herum, kommen jedoch nicht nahe genug heran, um Schaden anzurichten. In der Kälte so viel Wärme gefunden. (kla)
  • Die Müllabfuhr, die seit 45 Minuten Altglascontainer um Altglascontainer um Altglascontainer über die Hinterhöfe des Scheunenviertels ruckelt und den Inhalt dann mit Anlauf in die orangen Müllwagen donnert. (vm)  
  • Die rosa Mädchen mit ebenso rosa Zuckerwatte sehen zwischen den dreckig-grauen Plattenbauten so surreal aus, dass ich die Augen zukneife. Wieder auf: Immer noch da. (als)  
  • Hinter der Liefereinfahrt von REWE und gleich neben dem Käfig mit den Containern für abgelaufene Lebensmittel zischt in der Dunkelheit eine männlich klingende Stimme der vorbeiradelnden Frau entgegen: "Haste ’nen Korkenzieher?" Die Radfahrerin verneint: "Leider nicht dabei." (angro)
  • Zwei Lichtstreifen: Sie teilen sich im Ursprung, streben dann auseinander und bauen Lichtgeometrie an meiner Decke. Zielgerichtet sehen sie aus, ohne jemals anzukommen. Ich versuche, sie zu lesen – erfolglos: zu viel Interpretationsspielraum. Morgen ziehe ich den Vorhang ordentlich zu. (sk)
  • "Grüße von der Schneewanderung" ploppen auf. Anbei Fotos von Winterlandschaften; überzuckerte Gipfel und Berge an Neuschnee. Der Blick aus dem eigenen Fenster versichert: Hier wandern sie ganz bestimmt nicht! (als)  
  • Zwei Teebeutel Earl-Grey-Tee mit einer halben Tasse Wasser aufgießen, präferierte Pflanzenmilch (in meinem Fall Hafer) aufschäumen und über den Tee geben. Fertig ist der "Earl-Grey-Latte" oder auch "Rettung-am-Montagmorgen-nach-einer-schlaflosen-Nacht-Latte". (cn)
  • Als wir losfahren, erwärmen die Morgensonnenscheine die italienische Seite der Alpen. Mit dem ersten Wechsel der Radiostationen in der Schweiz beginnen die Schneelandschaften. In Österreich und Süddeutschland fallen dichte weiße Flocken auf die Autobahn und zwingen die Lkws zur Pause. Zu bald setzt die Dunkelheit dem Kino hinter dem Autofenster ein Ende. Irgendwann nach 12 Stunden kommen wir erschöpft in Berlin an. (gr)
  • Sanft schmiegst du dich morgens um meine Beine. Geschmeidig dehnst du dich im Schneidersitz am Frühstückstisch. Zart glänzt du im Schein der Deckenlampe. Wohlig wärmend trotzt du eisigen Windzügen. Oh Jogginghose – was hatte ich dich unterschätzt. (lms)
  • Es ist passiert: Ich surfe auf der Website einer Immobilienagentur für Eigentumswohnungen in Berlin. Zwischen Faszination und Übelkeit überlege ich mir, wie es sich wohl anfühlt, für fünf Millionen Euro ein Penthouse mit zwei Dachterrassen kaufen zu können. "Da würde ich meinen Schreibtisch hinstellen", säuselt mein Hirn, bevor ich den Laptop zuklappe. (sk)
  • Früher fanden sich in meinem Zimmer immer Spuren von Besuch. Der Handschuh einer Freundin, das Feuerzeug einer anderen. Die Cap von meinem besten Freund und die Sweatshirtjacke von keiner Ahnung wem. Die gehört jetzt mir. Besucher*innencheckliste Winter 2021: Hattest du mindestens eine Woche keinen Indoor-Kontakt mit anderen Haushalten? Nutzt du FFP2-Masken? Hast du einen negativen Test? (lip)
  • Der Handwerker, ein Ur-Berliner, der seit einer knappen halben Stunde die Decken in allen Zimmern der Wohnung mit TÜV-geprüften Rauchmeldern versorgt und auf die Frage, ob der wirklich mitten im Raum hängen muss, mit "dit is so vorjeschrieben" antwortet. (vm)  
  • Jeden Morgen pünktlich um acht schraubt er an seinem Moppet*. Auch am Wochenende. Dann sitzt er zusammengefaltet auf seinem Höckerchen und starrt in das Innenleben der Rostlaube. Nach ein paar Griffen dann der erste Startversuch: knallt immer noch – und stinkt. (als) *Moped
  • Der Junge, der bei minus zwei Grad auf einem Surfbrett über das Wasser des Müggelsees schwebt, als zöge etwas Unsichtbares ihn an Angelsehne über das Wasser. (angro)
  • Die neuen Eissorten, die weniger Zucker enthalten und dadurch Genuss ohne Reue versprechen, machen die fehlenden Kalorien durch erhöhte Preise wett. (sei)
  • Der erlösende Satz von Cory, meinem digitalen Fitnesscoach: "Awesome class everyone, what a beautiful workout." 40 Minuten hat er mich angebrüllt. Was haben wir zusammen geschwitzt. Wohltuende Konstante: Am Ende ist er immer stolz auf mich, auch wenn ich die ganze Zeit nur auf der Yogamatte lag. (lms)
  • Der Wecker klingelt, Blick aus dem Fenster: Grau – wie gestern, vorgestern, vorvorgestern. Der Laptop liegt auf dem Nachttisch. Ich lasse das Grau grau sein. Setze mich auf, großes Kissen in den Rücken, fahre den Laptop hoch und fange an zu arbeiten. Gleicher Start in den Tag – wie gestern, vorgestern, vorvorgestern. (lip)
  • Das unangenehme Gefühl im Traum, als die drei aufgebrezelten Frauen, kichernd und abwechselnd mit Strohhalm aus einem Cocktailglas trinkend von den Barhockern steigen und mir entgegenkommen. Dabei stehen in diesem Klub (wie bin ich hier reingekommen?) um mich herum dicht gedrängt und maskenlos noch hundert andere. (angro)
  • Plattenbauromantik in Lichtenberg: Ein Mal um den Häuserblock laufen, dauert genau zehn Minuten. Vor Haus 214 liegen Überreste von Silvesterkonfetti, ein Mann trägt schwer pustend zwei schwere Lidl-Tüten in die 216 und vor der 220 beginnt eine Frau in dicker Daunenjacke mit ihrem schwarzen Mops eine Gassirunde. (cn)  
  • Klamme Finger greifen ins kalte Weiß. Formen hastig ein Wurfgeschoss. Der Ball saust durch die Luft – und trifft. Pflatsch. Ein Schrei. Ein Lachen. Dann mehr Sausen, mehr pflatschen. Endlich Schnee! (als)  
  • Der Moment, wenn du aufwachst, aus dem Fenster schaust und ganz zarte, weiße Schneeflocken vorbeiwehen, die dann zwar gleich wieder auf dem Fenstersims verschwinden, aber dennoch einen Hauch von Bilderbuchwinter verheißen. (vm)
  • Der Atem fehlt bei den letzten Stufen bis zum vierten Stock. Doch die Anstrengung wird belohnt: Kaum klickt der Schlüssel im Schluss, stürmt der Hund auf mich zu. Es riecht nach zu Hause in Berlin. Die Türen der Zimmer öffnen sich, die Pademie-Community ist wieder vereint. "Na was hast du erlebt?" – "Spazieren und essen, und ihr?" Wir grinsen. (lip)
  • Der Himmel malt Wolkenbilder: Schwere Decken ruhen auf kuschelig-weichen Kissen. Dazwischen blinzelt verschlafen die Wintersonne. (als)
  • ES IST ZEIT
    Ich ziehe noch ein
       letztes Mal am Wein
    Tief
    Und atme langsam
       das leere Glas wieder
       aus

    Schlafen
    Mein Bett
    Zwitschert schon der
    Dämmerung entgegen

    Es ist Zeit
    (sei)
  • #Weihnachtspostkarte. Der Alexanderplatz ist eine leergefegte Landschaft. Nur unter der Eisenbahnbrücke ist Betrieb. Dort sitzen die Obdachlosen dichtgedrängt – die Häupter mit Weihnachtsmannmützen bedeckt und umgeben von Lichterketten – und reden sich liebevoll mit "Mistkerl" und "Nichtsnutz" an. (angro)
  • #Weihnachtspostkarte von der A9. Ein Symbol leuchtet neben dem Tacho auf. Es zeigt ein technisches Ding: irgendwie quadratisch, aber mit Ventilen. "Probleme mit der Motorsteuerung", sagt das Internet. Die Lambdasonde könnte defekt sein. Wir wissen nicht, was das ist. An einer Raststätte kontrollieren wir die Bremsflüssigkeit. Denn wir wissen, wo die liegt, und wir müssen irgendwas prüfen, um uns zu beruhigen. Dann fahren wir weiter. (sk)
  • #Weihnachtspostkarte aus Süddeutschland. Selbstquarantäne, Corona-Test, Weihnachtsgebäck: Die lange Vorbereitung steigert die Vorfreude. Die Umarmung ist innig – wie schön, sich sehen zu können. Die Wertschätzung für die gemeinsamen Momente steigt. Wir gehören zusammen. Wir haben uns lieb. Wir sind füreinander da. Wir passen aufeinander auf. Auch Weihnachten 2020. (lip)
  • Tücken des Weihnachtslockdowns: Eine ältere Frau, die auf der Straße ins Handy klagt: "Sie haben sich für die Schwiegermutter entschieden." (angro)
  • #Weihnachtspostkarte. Unsere wichtigste Weihnachtstradition: Wir sind zu spät dran. Mit allem. Heidenstress versucht Perfektion bis zum erlösenden "Ist doch egal!" Danach baumeln die Seelen. (als)
  • Ein Dorf in Norditalien, 23. Dezember, 23.30 Uhr. Nasser Asphalt, kaltes Straßenlaternenlicht, kein Mensch in Sicht: Auf der lokalen Verkehrsader herrscht eine irreale Stille. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung hat die Szenerie eingefroren – abgesehen von dem verstörenden Flackern einer kitschigen Weihnachtsbeleuchtung. Plötzlich dringt doch eine gespenstige Figur auf einem quietschenden Rad in das Bild ein. Wo fährt sie hin? (gr)
  • Als der Blumenverkäuferin bei der Bezahlung der drei lachsroten Amaryllis 30 Cent Wechselgeld fehlen, dreht sie sich abrupt zum Altar auf dem Boden um, hockt sich nieder, holt einen Becher mit Scheinen und Kleingeld zwischen Räucherstäbchen und anderen Altarbeigaben hervor und stellt den Becher, um 30 Cent erleichtert, in den Altar zurück. (angro)
  • "Wir haben heute versucht 7 Paket(e) zuzustellen", dunkelrot schreit die Sieben von der Benachrichtigungskarte. Ebenso rot darunter: "NICHT IHR ERNST, DASS SIE NICHT ZUHAUSE WAREN!" (als)
  • Heute noch maskenlos. Morgen wieder Maske. Heute frei. Morgen Quarantäne. Jetzt hier. Später woanders. Die Ferne fühlt sich vertrauter an als das vermeintliche Zuhause. Daheim hat sich abgenutzt, ist abgelaufen. Fühlt sich fremd an. Letztens sagte mir jemand: "Your home is in yourself." Vielleicht hat er Recht. Ziellos geht es voran. Wenigstens kein Stillstand. (kla)
    1. Advent 2020, Berlin-Neukölln: Menschenmassen schieben sich bei Sonnenschein und herbstlichen Temperaturen das Paul-Lincke-Ufer entlang. Sie tragen Glühwein statt Maske, setzen sich auf die Wiese am Ufer, als wäre es Sommer. Einer warnt: "Achtung, da vorne ist Maskenkontrolle." Ein paar Meter weiter steht sie, die Polizei in maskierten Grüppchen, ratlos in die Gegend starrend. (LMS)
  • Montagmorgen, 8.30 Uhr, Videokonferenz: Plötzlich ragt ein verstrubbelter Kopf in die Besprechung. "Wir haben am Wochenende Plätzchen gebacken!", plappert das Kind los. Auf dem Schoß der Mutter hüpft aufregt ein anderes: "Hallo! Ich bin Ida." Schließlich kommt doch noch ein Erwachsener dazwischen. "Kann sein, dass ich gleich los muss", sagt er, "zur Geburt." (als)
  • Montagmorgen, Ansbacher Straße: Vor der Restaurantöffnung noch schnell zu Vinh Loi, dem Asiamarkt mit dem besten Sortiment und dem engsten Parkplatz der Welt. „Hallo Chefin!“, ruft der nette Mitarbeiter, der uns jede Woche die schweren Kartons mit Tofublöcken und Udon-Nudeln zum Auto trägt. Kofferraum zu und mit gekonnter Präzision aus dem Mini-Parkplatz raus, weiter zur Uhlandstraße. (cn)
  • Die gelbe Blume, die lieblos weggeworfen aus dem übervollen, farblich passenden, BSR-orangen Mülleimer lugt, ist noch so frisch, dass man sie von weitem leuchten sieht, obwohl die Nacht bereits hereingebrochen ist. (sej)
  • "Wir würden gerne am Montag um 7 kommen." – "Das ist früh. Geht es auch ab 12?" – "Spätestens um 10 würden wir gerne anfangen." Um 11 sitzen sie dann in meiner Küche. Ulli schaufelt fünf Teelöffel Zucker in seine Kaffeetasse. Wir rauchen. "Bist du Deutsche?" fragt Ulli. Ich nicke. "Ich auch", sagt Ulli und streckt mir die Hand zum Fist Bump entgegen. (sk)
  • In der Einkaufspassage, die adventssonntagsbedingt vor Menschen nur so überquellen sollte, findet man sich in diesem Jahr in gruselig gähnender Leere, und selbst im Elektronikhandel des Vertrauens, aus dem normalweise um diese Zeit tonnenweise Spielkonsolen und Flachbildschirme geschafft werden, entdeckt man nur sich langweilende Verkäufer. (vm)
  • Das alte Paar, das am Straßenrand auf das Taxi wartet und das Taxi, das vor ihnen hält und der Mann, der vorne einsteigt und die Frau, die die Hand noch am Griff hat, als das Taxi schon anfährt. Und die Frau, die schreit: "Hej, ihr könnt doch nicht einfach ohne mich losfahren." Und das Taxi, das hinter der Kurve verschwindet. (angro)
  • Die Giraffen wollen einfach nicht ins Auto passen. Wie die Umzügler die sperrigen Holztiere auch drehen und wenden, immer ragt mindestens eine Extremität heraus. Schließlich geben sie auf. "Passt schon", sagt einer. Aus dem Schiebedach lugt der Kopf, aus dem Kofferraum zwei Beine. (als)
  • "I warmly smile under this mask", sagt die Maske. "Ich könnte ausrasten!", tönt es darunter. Kontraste machen Leute. (als)
  • Saturday Night, 2 Grad Celsius, trocken: Sechs junge genderfluide Engel schweben durch den Supermarkt. Sie kaufen neuen Treibstoff, obwohl sie schon sehr betrunken sind. Am Ausgang stoppen sie ab. "Wohin?" – "Keine Ahnung." Die Diskussion geht hin und her. Schließlich setzen sie sich auf den Gehweg an der Kreuzung Greifswalder/ Storkower und entkorken die Flaschen. (angro)
  • Immer das Gleiche: Alle im Flugzeug springen auf, sobald das Anschnallzeichen erloschen ist und man fragt sich echt jedes Mal aufs Neue, ob die denn alle glauben, dass man dadurch schneller aus dieser fliegenden Legebatterie entfliehen kann, obwohl doch eigentlich klar ist, dass das nicht der Fall ist. (vm)
  • Monatelang konnte ich nicht wütend sein. Weil du so oft so wütend warst. Weil du so oft schriest, lernte ich, leise zu bleiben. Jetzt bin ich wütend. Weil ich verlernt habe, etwas zu riskieren, anzuecken. Weil ich nur etwas riskieren kann, wenn Menschen mir noch egal sind und, weil ich, sobald sie mir wichtig werden, die Mauern hochziehe, die mich schützen, verstecken und unantastbar erscheinen lassen. (kla)  
  • November am Liepnitzsee. Der Teppich aus braunen Blättern, die unter den Füßen knirschen. Das ältere Paar, das mit einem weißen Pferd im Wald einen Spaziergang macht. Ein kleiner Hund, der wie aus dem Nichts erscheint, dem Pferd hinterherrennt und es erschreckt. Der Mann, der sein Fahrrad an einen Baum abstellt, sich rasch auszieht und ins Wasser springt. (gr)
  • "Tschuldigung, könnte ich mir ‘ne Bohrmaschine leihen?" – "Klar, kennste dich damit aus?", fragt der nette Nachbar. "Nö, aber Klara richtig gut", ich grinse stolz. 20 min später: Klara und ich sitzen in der Küche. Papa am Telefon. Youtube-Tutorial geöffnet. Das Teil lässt sich nicht auseinanderbauen, passt nicht in den Koffer. Mist. Mit Einzelteilen beladen stehen wir vor seiner Tür. Grinsen ertappt. (lip)
  • Mein Stand ist in der hintersten Ecke des Flohmarktes. Bei jedem Verkauf schießt mir eine Erinnerung wie ein Blitz durch den Kopf: "In diesem Jumpsuit habe ich meinen Bachelor bekommen", und: "Dieses Kleid trug ich vorletztes Jahr fast auf jeder Party." Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, über den Tisch zu springen und meine einst geliebten Klamotten den neuen Besitzern aus der Hand zu reißen. (cn)
  • Der Moment, wenn ich mit ein bisschen Herzklopfen ganz altmodisch die Zeitung aufschlage, um fieberhaft nach dem Text zu suchen, den ich schon so lange abgegeben, eigentlich vergessen habe und von dem ich trotzdem insgeheim erhoffe, dass er immer noch gefällt. (tah)
  • In Ermangelung von Theateraufführungen wird die Ringbahn zum Schauspielhaus. Diesmal ist Westend die Spielstätte. Die Gäste lauschen einem Monolog, der an das Stück Publikumsbeschimpfung von Peter Handke erinnert, der Text ist nicht zu verstehen, der Ton zotig. Als die Bahn abfährt, ist niemand auf dem Bahnsteig zu sehen. (angro)  
  • Im Treppenhaus: Der Nachbar in der ersten Etage, der kürzlich im Hof versucht hat, mich zu überzeugen, dass die Erde flach ist und nun ein Pappschild an seiner Tür angebracht hat: "Maskenverbot! Keep ur Narrenschiff law away from my body, Thankz!" Und ich, die ich den Atem instinktiv anhalte, wenn ich an seiner Tür vorbeilaufe. (gr)
  • "Mach mal Kinn höher", fordert die kleine Frau mit dem großen Handy. Folgsam hebt ihr Model das Kinn. Sein Partner hat deutlich mehr Allüren. "Chill mal, Alter!", schnaubt die Frau, "das sieht sonst scheiße aus." Doch der dicke Kater denkt gar nicht daran zu chillen – behände hüpft er auf den Bürgersteig und verschwindet. (als)
  • "Ich habe den ganzen Vormittag genäht, jetzt muss ich bügeln", sagt mein bester, schon sehr alter Freund am Telefon. Während er Hemd für Hemd mit dem Dampfbügeleisen glättet, hört er sich meine Geschichten an. „Wie geht es dir denn?“, frage ich, als ich fertig bin. „Ich habe endlich einen Betreuer gefunden“, sagt er. Ich frage überrascht: „Einen gerichtlich bestellten Vormund?“ – „Nein, einen wissenschaftlichen. Für meine Masterarbeit.“ (TAH)
  • Der verdammte Computer, der der Datenmasse des Online-Seminars wieder einmal nicht standhalten konnte und sich deshalb für mindestens 20 Minuten tot gestellt hat und den Studierenden einmal mehr zur Weißglut bringt. (vm)
  • Postkarte Kopenhagen, 5.02 Uhr. Ein kühler Wind zieht durch den menschenleeren Bahnsteig. Angenehme Ruhe. Ich gereizt, übermüdet. Rutsche von den kalten Metallbänken. (kla)
  • Irgendwo im Norden Deutschlands, 23.47 Uhr. Wir drei bilden eine temporäre Zufallsgemeinschaft. Zwischen Bahnhöfen und Waggons. Für Anastasia google ich die Rufnummer der dänischen Bahn. Sie ruft für uns an. Vanessa schenkt mir Taschentücher. Ich den beiden Äpfel. Außerdem passt Vanessa auf das Gepäck auf, während wir anderen beiden aufs Klo gehen. Wir drei kennen uns seit wenigen Stunden. (kla)
  • Der Physiotherapeut, der aus dem Fenster der Praxis auf die Baustelle des Hauses gegenüber schaut und sagt: "Der Bauleiter dort ist jetzt auch mein Patient." (angro)  
  • Der Fahrer des verspäteten Busses M41, der in großem Bogen auf den Rastplatz vor dem Hbf einschwenkt, das MAN-Fahrzeug mit einem lauten Puff-Geräusch absenkt, alle Türen aufsperrt, aus dem Bus springt, seine Kollegen begrüßt, eine Zigarette hinter dem Ohr hervorholt, sie genüsslich anzündet und dabei seelenruhig beobachtet, wie sich immer mehr Fahrgäste an der Haltestelle aneinander drängen. (LMS)  
  • Tag 7 des Unterhaltungslockdowns. Saturday Night Fever. 1.29 Uhr, zwischen Bundesplatz und Gesundbrunnen. Am meisten fehlen mir die Flaschen, die immer durch die Bahn kullern, während die Reste aus ihnen herausfließen und sich im Waggon verteilen, bis ein Flaschensammler kommt und sich ihrer erbarmt. (angro)
  • "Was aufs Maul, Alter? Ich geb dir aufs Maul, Alter!" Lachend schubsen sich zwei Jungs über den Gehweg. Ein Großer und ein Kleiner johlen. "Ein Freund von mir kriegt jeden Tag von seinem Vater Schläge", sagt der Mittlere plötzlich leise. "Opfer, Alter!", kichert der Kleine. –  "Ne, Mann, nicht lustig." (als)
  • Ein schöner Anblick, wie die gelb-grünen Blätter langsam zu Boden fallen. Der Rosmarin, der vor sich hin vertrocknet. Doch auf der Straße passiert nicht viel, soll es ja auch nicht. Ich frage mich, wann der Baum kahl sein wird. Vor oder nach dem Lockdown? Das Leben im Käfig wäre ohne die Blätter auf jeden Fall sehr viel erträglicher. So könnte man wenigstens wieder in die Wohnzimmer gegenüber schauen. (sazo)
  • "Wissen Sie, ich besuche hier ein paar Freunde. Ich bin Philosophieprofessor aus Oslo. Vorhin saß ich in einem Café und bin am Tisch eingeschlafen. Dann wurde mir mein Koffer geklaut. Ich muss jetzt zu Freunden nach Brandenburg und brauche sieben Euro für das Ticket. Können Sie mir das leihen?", fragt er flehend. "Es tut mir leid, aber ich habe kein Bargeld." Gereizt wendet er sich ab und geht. (sazo)
  • Postkarte Hamburg (Dienstreise): Ich habe vergessen, eine Tasche mit zum Frühstück zu nehmen, um elegant Essen mitgehen zu lassen. Anfängerfehler. Jetzt klemmt nur eine zerdatschte Milchschnitte in meiner Hosentasche. Morgen traue ich mich an die Porridepackungen. Wenn ich mich geschickt anstelle, schaffe ich alle drei Sorten bis zur Abreise. (sk)
  • Bei REWE im Prenzlauer Berg: Die Verkäuferin, die eine Viertelstunde vor der Sperrstunde alle nötigt, den Alkohol aus den Körben und vom Kassenband zu nehmen. "Alkohol kriejen Se hier nich mehr, da müssen Se früher uffstehn!" (angro)
  • "Alter!" – "Ja, Mann." – "Heftig!" Die Kameras der Jungs klicken im Takt des Blaulichts. Im Laufschritt bahnen sie sich ihren Weg vorbei an Feuerwehrautos, hüpfen durch große Pfützen, schlängeln sich vorbei an dicken, gelben Schläuchen. Klick, klick, klick. Eine Sirene heult. "Krass, Mann!" – "Ja, Mann!" (als)
  • Zwei Union-Fans kommen vom Stadion, alles rot-weiß an ihnen, selbst die Nasen, weils kalt ist. Sagt der eine in schönstem Sächsisch zum anderen: "Ich bin zehn Jahre in Berlin, was macht man da an so 'nem Jubiläum?" Der andere, der Mundart nach echter Berliner: "'Ne Currywurst essen gehen." – "Geht nicht, ist Dienstag." Dann verschwinden sie um die Ecke. Ich werde nie erfahren, warum Dienstag und Currywurst sich ausschließen. (angro)
  • Montagmorgen, 7.03 Uhr: Vor dem Fenster wächst, begleitet von lautem Hämmern und Bohren, ein Gerüst die Wand hinauf. "Fuck!" Eine große Hand klopft am Fenster. "Hallo?" Der zur Hand gehörige Kopf lugt vorsichtig hinein. "Hab ich durch Ihre Wand gebohrt?" (als)
  • Postkarte Charlottenburg. Der Mops in der Mommsenstraße. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, außer: beide teuer. (angro)
  • Postkarte, Marquartstein. Es regnet, manchmal reibt etwas Hagel die Geräuschkulisse zusätzlich auf. Im Hintergrund säuselt John Lennon: „We’re afraid of everyone / Afraid of the sun / Isolation.“ Auf den Bergen leuchtet Schnee. Es ist so kalt, dass sich die Hände mit dem Halten der Zigarette abwechseln, damit sich eine in die Achselhöhle schmiegen kann. „Nicht mehr rauchen“, sagt Mama ins Telefon. Ach,ne. (sk)
  • Postkarte Thälmannpark. Das Graffiti auf dem Sockel des die Faust ballenden Ernst Thälmann hat sich über Nacht von FIST zu FUCK verändert. Eine Ratte kommt um die Ecke, einen gelben Strohhalm in der Schnauze, den sie – wie ein Artist auf dem Hochseil seine Stange – über den Weg ins Gebüsch balanciert. (angro)
  • Als ich durch die menschenleere Großbeerenstraße laufe, schreit einer vom Balkon: "Das nächste Mal schlage ich dir den Kopf ein!" Ich bin mir nicht so sicher, dass ich nicht gemeint bin. (angro)
  • Während die Stadt noch schläft, schleiche ich umher, sauge sie ein. Die Raben sind kleiner, die Straßen sauberer, die Häuschen weniger konform – ein grenzenlos-architektonischer Mix. Der Tau bedenkt Sitzbänke mit mikroskopischkleinen Wassertropfen. Gefühlt jeder Dritte, der schon unterwegs ist, führt um 6.30 Uhr morgens seinen Golden Retriever aus. Malmö ist schön. (kla)
  • Als wäre die Welt in Ruhe gehüllt und dass wir schweigen zu teuer erkauft mit Nichtstun. Ist dieses Leben ein endloser Flur mit immergleichen Türen? Wenn ja, führt nur eine nach draußen. Wir gehen ab und zu mal vorbei. (tah)
  • „Als meine Mutter starb, habe ich ihre Stoffe geerbt. Die meisten sind nur ein Stück groß. Perfekt für Masken. Wenn die Kinder mich nerven, setze ich mich an die Maschine und nähe.“ (sk)
  • „Was soll der Scheiß? Ich will, dass ihr um euer Leben rennt! Das ist alles scheiße! Ich meine euch alle. Spielt um eure Ehre! Schluss mit dem Theater jetzt. Ihr seid keine Kinder mehr!“ Die Elfjährigen nicken. (sk)
  • Boing, boing, boing, boing. Tack, psssssss, tack, pssss, tack psssssssssss, argh, tak, psss, boing. „Verdammte Scheiße!“ – „Weiterkämpfen, Jasper! Bis zum letzten Punkt kämpfen!“ (sk)
  • 20.15 Uhr kann die Kassiererin der Schwimmhalle Ernst-Thälmann-Park ihren Drang nach unverstellter Unfreundlichkeit nicht mehr zügeln: "Maske auf!", bellt sie und eine Minute später: "Schuhe aus!" (angro)
  • Im Vorgartengefängnis stehen die Rollrasenhalme stramm hinter Buchsbaummauern. Geranien in Reih und Glied erlauben sich kein welkes Blatt. Unbarmherzig weist der Gärtner in die Schranken, was aus der Reihe tanzt. Widerständiges Unkraut wird isoliert – die Revolution im Keim erstickt. Nur der Birnbaum rebelliert. Trotzig lässt er reife Früchte in die Einfahrt fallen. (als)
  • "Kann ich 'ne Zigarette haben?" Ein hoffnungsvoller Unterton und stechend blaue Augen bohren sich in meine rauchfreie Brust. Die Sonne schiebt sich langsam hinter dem Fernsehturm Richtung Boden, und die warmen Stimmen der Meute färben die Luft hellorange. Fast fühlt es sich an wie früher, aber nur fast. FMD
  • Fernweh mit ungewissem Ausgang. Zerknautschte Taschenbücher werden aus den Bücherregalen gezogen, während feiner Sand aus den vom Meerwasser wellig gewordenen Seiten rieselt. Portugiesischer Sand, der an den Schuhen scheuerte, an Sonnencreme klebte oder sich zwischen den Seiten der Urlaubslektüre versteckte. Nun lassen uns diese Bücher aus vergangenen Ferien in eine andere Zeit versinken. (vb)
  • Die beiden Kugeln an der krummen Schnur, die ganz still runterhängt von dem Balkonblumenkasten, als wäre frühester Morgen und die Herbstsonne nicht schon längst aufgegangen – die gelbe hat den Sommer nicht überstanden, die rote ist überzogen mit Schmutz, getrocknetem Wasser und Erde, als wenn sie sich mit den Resten der warmen Tage eingepackt hätte für die nun schon kalten Nächte. 8:00 Uhr (ls)
  • Eine Frau mit dunklem Kopftuch, mit dem Handy am linken Ohr laut telefonierend und mit der rechten Hand ihren elektrischen Rollstuhl über ein Display steuernd, überquert noch in letzter Sekunde surrend die Badstraßenampel, ehe die auf Gelb lauernden SUVs sie über den Haufen fahren können. (angro)
  • Die Eiswürfel schmelzen ziemlich langsam. Der Abdruck des billigen Korbstuhls aus geflochtenem Plastik zeichnet sich auf der jugendlichen Haut ihrer beiden Mädchen ab. Mit schnellem Griff nimmt sie die Speisekarte, wendet sich dem Boden zu. Sorgfältig zerteilt sie die Wespe mit der scharfen Kante der Karte; zerdrückt das Insekt fast genussvoll auf dem Asphalt. (fh)
  • Postkarte Wittwesee. Das Wasser reicht mir bis zur Brust und ich kann den Dreck unter meinen Fußnägeln am Grund sehen. Kein anderer hier. Angstlust. Davor, dass ich Wasser atme, mich eine Wespe in den Mund sticht oder ich mir an einer Wurzel die Stirn aufschlage. Nach zwei Schwimmzügen besiegt. (angro)
  • Postkarte Südtirol. Hunderte Male haben sie hier gestanden, die großen und die kleinen Besten der Welt. Und ich. Mit meiner Schwester Rennen gefahren. Wer gewonnen hat? Wer weiß das schon. Hauptsache heiße Dampfnudeln danach. Zum ersten Mal hier ohne sie. Der Blick in die Berge macht melancholisch – wie der ins Feuer oder auf die hohe See. (lite)
  • Postkarte Lübecker Bucht: Wir wollen ans Meer und landen an der Ostsee. Auf der Fahrt lesen wir in der Zeitung, dass in „diesem seltsamen Sommer viele Urlauber ihre Heimat neu entdecken“. Wir gehen vor dem Frühstück baden und trinken abends Wein am Strand. Alles, was wir entdecken, ist, dass wir kein Talent für Minigolf haben. (tb)
  • Postkarte Rhein. Sandstrand. Um die nächste Flussschleife der Loreley-Felsen. Am Rhein großgeworden. Ruderverein: Bloß nicht die Hand ins Wasser strecken! 1988 ein Umweltminister im Gummianzug im Fluss. Die Brühe enthielt Phosphate, Nitrate. Es ging aber gar nicht um Politik, sondern um eine verlorene Wette … Jetzt: Schwimmer, Wasserski, Stand Up Paddles und in der Fahrrinne die großen Lastkähne. Das erste Bad im Rhein. (uav)
  • Postkarte Deutschland. Kaiserpfalz Ludwigs des Frommen, Pharmaindustrie, Weinberge; Mogontiacum: Hauptstadt der Provinz Germanien; Familiensitz der Rheinromantiker; Bischofssitz seit dem 4. Jh., Kaiserdom, Schatz im Rhein; Spargel und Sommerresidenz: Rokokotheater und Moschee; Reiter als Idealbild des mittelalterlichen Ritters, einziges Papstgrab nördlich der Alpen; Festspiele: Wahn, Wahn und Eremitage: Sonnentempel, Ruinentheater. (uav)
  • Postkarte Dresden. Unsere Freundschaft ist dieses Jahr 18 geworden, wir immer noch Kinder. Immer noch telefonieren, immer noch Kirby und Peach bei Super Smash Bros. Immer noch in der Lage, über 300 Pokémon aufzuzählen. Umgezogen, mehrmals. Trotzdem immer da gewesen. Am Telefon, in Fotos, vor Ort. Wir erinnern einander daran, wie wir als Kinder waren, holen uns die damalige Leichtigkeit zurück. (kla)
  • Postkarte Strandbad Weissensee, Mitternacht: Die Sternschnuppen sind hier dünner und blasser als auf dem Land und kommen optisch den Flugzeugen im Landeanflug ins Gehege. Baden ist seit 19 Uhr verboten. Das Verbot zu übertreten, hindert nur das Wasser, das an schlierendurchsetzte Abwaschplörre erinnert. (angro)
  • Postkarte aus dem südöstlich gelegenen Westen: Chaotisch schimpfen Banausen die hiesigen Zustände, verwirrend die Verkehrsführung. Man kann sich verlieren in diesen pittoresken, schier endlosen ockerfarbenen Gassen. Die Luft steht, es ist staubig, wenige Freiräume laden zum Verweilen. Doch es gibt so viel zu entdecken, was wohl hinter den schmalen Fenstern dieser aufgetürmten Kartonage steckt? (brk)
  • Postkarte Oderbruch, Mittwochmitternacht: Auf der Tischtennisplatte liegen und die Sternschnuppen mit langen Schweifen fallen sehen – über die Milchstraße zischend oder durch den Großen Wagen durchrauschend. Es sind so viele, dass die Wünsche allmählich profan werden. (angro)
  • "Bride to be", glitzert es von der weißen Maske. Ringsherum siebe Pinke – ins Krisengespräch vertieft: "Eigentlich sollte es in der Regio Sekt geben. Aber mit Maske?" Mit Verschwörermiene kramt eine in ihrer Tasche. "Ist ja eigentlich verboten. Hab ich auf Vorrat gekauft“. Und, schwupps, ist das kostbare Gut in Piccolo-Fläschchen versenkt. „Strohhalme! Britta, du hast uns gerettet!“ (als)
  • Postkarte, Werbellinsee, Samstag 14:30 Uhr: Der Apérol steigt mir schnell zu Kopf während meine Füße im heißen Baggerseesand vor sich hin fläzen. Ich schließe meine Augen und habe fast das Gefühl, in Italien am Strand zu liegen. Wäre da nicht der Geruch der Rostbratwürste der Nachbarn und das laute Geplärr von Eltern, die ihre Kinder am Strand darauf hinweisen, ja nicht vom Steg ins Wasser zu springen. (sazo)
  • „Tut das weh?“ – „Ja.“ – „Wie ist es hier?“ – „Ja!“ Es schmatzt in meiner Mundhöhle. Die Gummihandschuhfinger fahren über die Innenseite meiner Backen, fühlen Muskelstränge, drücken Schmerzpunkte. Jede Woche komme ich wieder. Die Schmerzen werden nicht besser, aber die Entspannung danach ist süß. Absurd, wieviel Training Entspannung erfordert. Abends habe ich Kiefermuskelkater. (sk)
  • 528 frage ich. 582 sagt er. Ich steige ein. Eigentlich kann ich mir kein Taxi leisten. Leer sind die Strassen. Rechts blinken unzählige winzige Lichter in der Nacht. 1:30 zeigt die Anzeige der Uhr, 18 das Taxometer. Zwanzig Minuten später heute, ok ja? Habe noch einen Fahrgast, telefoniert er. Eine Frauenstimme wiederholt zwanzig Minuten ok, ja, ok. Thai Massage steht auf dem Display. (fh)
  • Postkarte, Liepnitzsee, 1. August: Die Tatsache, dass in der Bahn Fahrräder übereinandergestapelt werden, um alle Ausflugswilligen unterzubringen, hat uns nicht ausreichend beunruhigt. Aber am Ufer wird wieder gestapelt. Wir traben weiter durch den Wald und finden ein Gewässer, dass auf Google Maps nur „Seechen“ heißt. Hier: ein schmaler Steg und ein verlassenes Ruderboot, in dem wir den restlichen Tag nackt sitzen bleiben. (sk)
  • Eine Minute vor Mitternacht stürmt Polizei in die REWE-Filiale an der Prenzlauer Allee, und die Anführerin der drei Uniformierten ruft in die Halle: "Hier wurde ein Überfall gemeldet." Achselzucken von Kunden und Verkäuferin: "Hier war nüscht." – "Aber jemand von Ihnen muss doch den Überfallknopf betätigt haben?" – "Ick hab hier keenen", sagt die Verkäuferin und kassiert seelenruhig weiter ab. (angro)
  • Postkarte München, Sonntag, 12:30 Uhr: Im königlichen Hirschgarten trägt man Tracht. Und Maske. Die darf am Tisch abgenommen werden, um Bier und Haxe in die Mundhöhle zu schieben. 70 Prozent der Biergartenbesucher*innen sind betrunken. Wir werden belächelt mit unserer Weißwurstfrühstückbestellung. Gut, dass die Blaskapelle anfängt zu tröten. Ein Gruppenname leuchtet von den Notenständern: „Blechreiz“. (sk)
  • Postkarte Arneburg/Elbe, 20. Juli 2020: Die Frau in der Touristeninformation am völlig leeren Marktplatz, die zu der durchnässten Wanderin sagt: "Taxi für Sie gibt es hier nicht, die werden für Dialysepatienten gebraucht." (angro)
  • 1000 g Mehl, 800 ml Wasser, 30 g Salz. Widerspenstig versucht der Teig, an meinen Fingern kleben zu bleiben. Ich lasse ihn durch meine Hände wandern, werfe ihn vor und zurück, falte und lasse ihn ruhen. So verbringen wir den Rest des Tages miteinander. Nur mit sanften Händen lässt er sich formen. Jede falsche Bewegung hinterlässt Spuren. (sazo)
  • Große Tropfen prasseln vom Himmel herunter, treffen erst auf das Jeanshemd, bevor sie die Birkenstöcke glitschig werden lassen und schließlich den Asphalt erreichen. Hemd aus, Schuhe in die Hand, weiterlaufen. Links Menschen, unter einem Vordach, trocken. In ihren Blicken mischt sich Erheiterung mit Mitleid und Bewunderung. (kla)tschnass
  • Zwei musizierende Flaneure ziehen durch die Straßen. Der Alte hat vor dem dicken Bauch ein Akkordeon, der Junge spielt Trompete. Aus den Fenstern ringsherum recken sich die Köpfe. Eine alte Frau auf dem Balkon klatscht beseelt. Nebenan hüpft ein Kind im Takt der Musik. Ein letzter Tusch, ein letzter Applaus. Das Duo biegt um die Ecke. Morgen kommen sie wieder. (als)
  • Normalitätsupdate: Das schlechte Gewissen bei der Online-Shoppe ist verflogen, allabendlicher Applaus, Trinkgeld und kontaktlose Übergabe an der Haustür ebenso. Der einst systemrelevante Lieferheld auch, Pakete landen nun konsequent zwei bis zwanzig Häuser weiter, die Benachrichtigung wird per Brief zugestellt. Immerhin. (brk)
  • Pfrrrtz. Ein dicker Klecks Desinfektionsgel landet auf den faltigen Händen der Großmutter. Noch einmal: Pfrrrtz. Jetzt ist die Mutter dran. Während die Hände den Klecks verteilen, schmatzt es. Fehlt nur noch das Kind. Pfrrrrrrrrttzzz! Unter fröhlichem Glucksen landet die Hälfte im Buggy. (als)
  • Katharina Grosse denkt in Farben und in großen Bögen. Es ist Malerei, die sich schon lange von der Leinwand emanzipiert hat. Ihre Ausstellung It Wasn't Us ist bis zum 10. Januar 2021 in und um den Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen. (angro)
  • Hamsterkauf-Update: Im Real Ring-Center II herrscht Gefasstheit, das Einkaufsradio ist hier noch nicht dem Zynismus in der Songauswahl anderer Märkte verfallen. Die Einkaufswagenpflicht erschwert Abstandsgebote in den Gängen und erneut zeigt sich, was deutsche Seelen wirklich brauchen: TELEFUNKEN LED 80CM SMART HD TV und KATJES WUNDERLAND DEUTSCHLAND WEINGUMMIS SIND AUSVERKAUFT. (brk)    
  • Hamsterkauf: Kaufland Victoria Center Berlin. Das Regal für die Bio-Brotbackmischung Energiebrot vegan ist leer, im Einkaufsradio erinnert Coldplays Smash-Hit "The Scientist" daran, dass niemand gesagt hat, es würde einfach werden. (brk)
  • "Lille, komm da runter!" – die Stimme der Barfüßigen klingt streng. Lille will nicht. Sie thront mit verschränkten Armen auf dem Schoß von Käthe Kollwitz und streckt der anderen die Zunge raus. "Lille!" Keine Reaktion. "Ich sag’s Papa." Lille guckt unsicher. "Papaa, wir sind bei Käthe Kollwitz!" Langsam rutscht Lille die Statue runter. Die Barfüßige triumphiert: "Das ist nichts für Babys!" (als)
  • "Sind Sie nicht zu alt für Flutschfinger?", fragt das Kind. Seitdem die bohrende Frage nach erwachsenem Eis. Klar, Schlumpfeis ist für Kinder. Mokka für Erwachsene. Vanille ist erwachsener als Erdbeere, und Amarena-Kirsch schmeckt erst mit grauem Haar. Doch was ist mit Heidelbeer-Butterkeks oder Zitrone-Minze? Eiskalt erwischt. (als)
  • Zwei Männer stehen im Aufzug zum S-Bahn-Gleis. "Wir haben Corona!", schreit der kleinere durch seinen Mundschutz. Der größere drückt vehement auf den Aufzugsknopf. Die Frau, die ihren Sohn auf dem Rad hineinrollen will, sieht erstaunt zu, wie sich die Tür vor ihr schließt. "Gestern waren bestimmt neun Leute im Aufzug", sagt der Kleine. Zufrieden fassen sich die zwei an ihre Käppis und nicken sich zu. (nischa)

  • 05.06.20: Beauty / Healthcare / Baby: Zopfhalter. Tiernahrung / Tabak / Drogerie / Haushalt: KLC.Toipa3lg. Fashion / Accessoires: TL He.Retro3er. Mopro / Kaese / Eier: KBio.ESL-Milch 3,8, KLC.Schni. 125g. Nahrungsmittel: KLC.Fusilli, KLC.Studentenfutt., Corny Schoko-Bana., KPesto Genovese, K.Pesto Calabrese. Suesswaren: Kinder Riegel. Summe: 28,52. (sk)
  • Gegen Abend geht uns im Garten die Waldohreule auf den Geist, weil sie unsere dystopischen Diskussionen mit ihrem traurigen Fiepen beständig zu illustrieren versucht. Dass es eine Asio otus ist und ihr Fiepen Ausdruck der Bettelflugphase eines Jungtiers, wissen wir freilich nur von einer App. (angro)
  • Der Blick aufs Handgelenk verrät, dass seine Zeit abgelaufen ist. Stumm treffen sich Blicke, bevor einer aufsteht und sich räuspert. Gehen. Für nichts anderes scheint jetzt der Moment zu sein. Oder bleiben, doch dafür ist es schon zu spät. Keiner regt sich, beide zögern. Wer ist jetzt dran? Der eine kneift die Lippen zusammen, der andere denkt nur noch an sie. Erwartungen stehen im Weg. (lite)
  • Eine Frau setzt sich mir gegenüber. Ich ziehe meine Beine angespannt zurück.  Eine Träne verschwindet unter ihrer Maske. Sie sieht mich an. Ihre Augen strahlen eine Sehnsucht aus. Eine Sehnsucht nach Erinnerungen, die schon längst in den tiefen Winkeln ihres Gedächtnisses verschwunden sind. Was bleibt, ist ihre Suche nach einer Vergangenheit, die sich nicht mehr zurückholen lässt. (sazo)
  • Gegenüber liegt Tarantino. Um ihn ist es still geworden – in ihm auch. Tarantino ist verschlossen, verhangen, verwahrlost. Es regt sich nichts. Da sind Poster seiner Filme, aber keine Handlungen. Da stehen Tische und Stühle, aber kein Publikum. Tarantino ist eine Bar – und zu. Es knallt nichts außer dem Geschirr beim Vietnamesen nebenan. (bal)
  • An einer Ecke Kreuzbergs macht ein Plakat durch seinen rätselhaften Charakter auf sich aufmerksam. In Fraktur geschriebene Worte breiten sich wie Städtenamen auf einer Landkarte aus und überschneiden sich manchmal. "Einzeltäter", sagen sie. 193 Mal "Einzeltäter". 193 Mal markieren sie, wo seit 1990 in Deutschland rechte Opfer ermordet wurden. Seit Hanau sind es elf mehr. (ft)
  • Designerschwarze Masken und OP-grüne. Masken mit Punkten, mit Streifen, mit Gummis, mit Schleifen. Und darüber: müde Augen und verweinte. Grimmig dreinschauende und pollenrote. Glücklich glänzende und konzentrierte. Maskenhafte Gesichter. (als)
  • Der Weg von der S-Bahn zum Olympiabad ist ein Gang durch eine Diktatur, unendlich lange Wege, riesige Räume, bis man – inzwischen zu einem ganz kleinen Insekt geschrumpft – am Eingang zum Bad ankommt und jegliches Selbstbewusstsein verloren hat. Kann ich überhaupt noch schwimmen? (angro)
  • Sie tat es schon vor der Isolation, vor der Langeweile, vor der Transformation von Hefe zum Luxusgut. Und manchmal macht die Ungewissheit, ob es gelingt, sie immer noch nervös. Sie geht mit ihren kräftigen Händen in den Teig, ist ganz nah bei ihm und schenkt ihm ihre Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, er werde geschmeidig und glatt. Aber er ist anspruchsvoll und widerspenstig, oft sogar nachtragend. Also weiterkneten. (vb)
  • Das sanfte Einrasten des Schlosses, als die Haustür hinter mir zufiel, gab den Auftakt für die Sintflut. Wie auf Knopfdruck begannen literweise dicke, warme Regentropfen aus dem Himmel zu fallen, der sich zu später Stunde orange färbte. Binnen Sekunden begannen die Straßen, die Gehwege und Autos spiegelgleich zu glänzen. Die Luft, dick und feucht, färbte sich für einen Wimpernschlag lang Gold.
  • Eben noch saßen wir im Ufercafé. Richtungslos und gelangweilt. Aber wir mochten unsere Langeweile – und lachten viel. Lachten einfach so, über dies und das. Und gerade, als wir endlich übereinkamen, dass an diesem Leben absolut gar nichts mehr zu machen sei, schwamm draußen eine Ente gegen den Strom, kämpfte, breitete ihre Flügel aus und flog weg. Eine Ente! Da schämten wir uns. (tah)
  • jetzt, wo die schritte begrenzt sind, ihr echo / die frage nach dem sinn / allen treibens heraufsteigen lässt / aus dem morast / greift um sich das haltlose / nach jedem verdorrten schilf / die ursuppe, sie schluppt / und zieht vergnügt / ihre blasen / gewiss, der untergang / noch jeden anfang überschattend / ist immer unser hüter (jasch)
  • Der bordeauxrote Pass, der, um bei dem windigen Wetter nicht wegzufliegen, mit einem Stein beschwert auf einer Yogamatte liegt, die einer Frau gehört, die mit angestrengtem Gesicht meditierend vor einem an die Mauer eines Hauses in der Linienstraße gelehnten Schild sitzt, auf dem "GEGEN IMPFPFLICHT!" steht. (angro)
  • Homeoffice With A View: Die Balkonmauer, mein Stehpult, breit genug für ein Notizbuch und ein schmales Tablet – mit Aussicht auf alles und jeden in meiner kleinen Straße, besonders auf die Köpfe der Passanten, die direkt unter ihr herlaufen (wobei das manchmal keine schönen Aussichten sind, aber niemand kann sich sein Haupthaar aussuchen und darin liegt schon fast etwas Grundgerechtes). (ls)
  • Homeoffice With A View: Die Balkonmauer, mein Stehpult, breit genug für ein Notizbuch und ein schmales Tablet – mit Aussicht auf alles und jeden in meiner kleinen Straße, besonders auf die Köpfe der Passanten, die direkt unter ihr herlaufen (wobei das manchmal keine schönen Aussichten sind, aber niemand kann sich sein Haupthaar aussuchen und darin liegt schon fast etwas Grundgerechtes). (ls)
  • Location unknown, 1956 © Estate of Vivian Maier, Courtesy Maloof Collection and Howard Greenberg Gallery, New York.
  • Teile der aktuellen Ausstellung Vivian Maier – Works in Color übersetzt das Amsterdamer Fotografie-Museum Foam digital auf seinem Instagram-Channel. Die erst nach ihrem Tod 2009 berühmt gewordene amerikanische Nanny und Inkognito-Straßenfotografin ist hier mit ihren Colorworks zu sehen. IG @foam_amsterdam #vivianmaier #foamathome (reis)  
  • Der schwer gebeugte alte Mann, der mit abgewetzter Aktentasche und vollem Einkaufsbeutel von REWE kommend die Grellstraße überquert und dabei im Rhythmus seiner Schritte ein beständiges "Arschficken, Arschficken" unter der Maske hervorstößt, als treibe ihn die Sprache an, schneller nach Hause zu kommen. (angro)
  • Gewissheit und Vermissen im Zweikampf. Der Blick schweift über den Hinterhof zur Seitenstraße. Jedes beleuchtete Fenster, die Musik in den Wohnungen der Nachbarn, die kalte Luft, alles eine unerwünschte und gleichzeitig willkommene Ablenkung. Noch ein Schluck Rotwein. Die Gedanken schweifen zu schönen Erinnerungen, zu Freunden. Der Moment ist vorbei. (kla)
  • ∞ Vor oder in, Stunden oder Tage. Eigentlich egal, wo alles zu einem Meer von Gegenwart geworden ist. Als Trost bleibt die Hoffnung, dass die Zeit, die für die einen verschwimmt, sich für andere verfestigt – als gewonnene Lebenszeit. Eine Stunde, ein Tag, ein Jahr, ein Leben – egal. Hauptsache ein kleines bisschen mehr. Dann wird es das alles wert gewesen sein. Wenn es irgendwann wieder Zeit gibt. (sera)